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Und ewig grüßt der HY
Ein Restaurationslassbericht
von Helge Torgersen
Neulich habe ich mir einen HY gekauft. Christine, meine liebe Frau, wollte
wieder einen Campingbus, nachdem ich meinen vor etlichen Jahren mangels Interesse
der Familie verscherbelt hatte – die Jungs wurden groß und wollten verständlicher
Weise nicht mehr mit uns Alten wegfahren. Da ich HYs mag (wer nicht, der diese
Zeilen liest?) konnte ich einem Angebot nicht widerstehen, das ich mühsam und
nach langem verbalen Massieren aus dem widerstrebenden Besitzer herausgekitzelt
hatte: er gab seinen nach etlichem Sträuben doch her, Baujahr 1975, silbergrau,
eingerichtet mit einer etwas zerschlissenen, aber leicht entfernbaren Campingeinrichtung
und einigermaßen rostig im Kastl, daher pickerllos.
Technisch war der Wagen, wie meistens, bis auf
die Bremsen gar nicht so schlecht; der Motor war einmal gegen einen fabrikneuen
getauscht worden und hatte nicht viel mehr als 50.000 km auf dem Buckel. Außerdem
war der Wagen billig und der Verkäufer vertrauenswürdig, weil ein guter Freund
und Mechaniker (letzteres ist angeblich nicht ganz selbstverständlich mit
Vertrauenswürdigkeit verbunden, in Kombination aber schon). Er seinerseits hatte
den HY vor acht Jahren dem dritten Besitzer abgeschwatzt, dem Hersteller der
Campingeinrichtung, der den HY ganze siebzehn Jahre gefahren hatte, zuletzt
aber mangels Interesse in der Familie nur mehr sehr sporadisch. Der Freund
wollte den HY herrichten, hatte aber wegen anderer Interessen in all den Jahren
kaum eine Schraube angerührt und den Wagen in einer Halle verstauben lassen.
Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass mir der
weiland Drittbesitzer und Campingeinrichtungs-Hersteller jahrelang jeden morgen
beim Rasieren vorwurfsvoll aus dem Spiegel entgegengeblickt hatte, und zwar
durchaus nicht weil er meinte, ich sollte mir einen Bart stehen lassen.
Vielmehr hätte ich lieber keinen HY verkauft haben sollen.
Das sich daraus ergebende intensive
Naheverhältnis zwischen Dritt- und Fünftbesitzer, um nicht zu sagen deren
Identität, hat natürlich Folgen. Zum einen muss ersterer über diverse Mängel
Bescheid wissen, letzterer hat also keine Ausrede, was unbeabsichtigte Ausgaben
angeht. Zum anderen hatte ersterer sich bereits Gedanken über eine mögliche
Einrichtung gemacht, die für letzteren zwar schon etwas altbacken klingen, aber
man soll ja bei einer solchen Aktion nichts überstürzen, weil man mit dem
Ergebnis etliche Jahre leben muss – es können auch Jahrzehnte werden. Zum
dritten ergibt sich für letzteren die Gelegenheit, Dinge zu erledigen, zu denen
ersterer in vielen Jahren nie gekommen ist und die er jetzt auch nicht mehr
bezahlen muss, oder sogar aus vergangenen Fehlern zu lernen. Wer kann das schon
von sich behaupten?
Wer über mathematische Fähigkeiten verfügt
kann leicht errechnen, dass der HY angesichts der gegenwärtigen Jahreszahl
(2011) beim Wechsel vom Zweit- zum Drittbesitzer elf Jahre alt war – das Auto
ist Baujahr 1975, daraus ergibt sich mühelos 1986 als erstmaliges Kaufdatum und
2010 als zweitmaliges, sozusagen. 1986 ist allerdings als nicht besonders guter
Jahrgang in die Geschichte eingegangen, sowohl was die Blechqualität bei
Citroen als auch was andere unangenehme geschichtliche Ereignisse angeht, an
die gerade jetzt Erinnerungen wach werden. Ein Grund, warum meine Frau einen Campingbus
wollte war nämlich, um mit den beiden Kindern (damals zwei Jahre alt bzw.
gerade neu) hinaus in unkontaminierte Gegenden zu gelangen: Es war das Jahr von
Tschernobyl. Heuer werden meine Söhne – erraten – siebenundzwanzig und
fünfundzwanzig. Und heuer fürchten wir uns wieder vor radioaktiver Verstrahlung
aus einem havarierten Atomkraftwerk, wenn auch auf der anderen Seite der Erde.
Wir haben aus vergangenen Fehlern offenbar nichts gelernt.
Um dieser Gefahr nicht anheim zu fallen war
meine Überlegung, das HY-Blech, wo unbedingt nötig, reparieren zu lassen und
nicht einfach zuzukleistern. Ich hatte elektronisch einige Ersatzbleche
ergattert und wollte sie ordentlich einschweißen und nicht bloß einbraten
lassen. Mein Schwager hat nämlich seinerseits einen, der kennt da jemanden,
dessen Bekannter einen Freund hat, der usw.; kurz, der HY landete in
Tschechien, nicht weit hinter der Grenze zum Weinviertel, abgeholt vom
Werkstattbesitzer, Herrn Bedrich N. auf einem etwas altersschwachen aber neu
lackierten Autotransporter. Der Herr Bedrich schaute sich die Bescherung vor
dem Verladen an, drehte die Bleche in den Händen und meinte dann, ob man nicht
gleich die ganze Kiste lackieren sollte, wenn schon denn schon, und nannte
einen sehr günstigen Preis.
Naja, sagte da der Drittbesitzer, warum
eigentlich nicht? Der Fünftbesitzer kriegte es augenblicklich mit der Angst und
zögerte ein wenig, gab dann aber nach – man soll ja Fehler nicht zweimal
machen, denn der Drittbesitzer hatte das Kastl vor etwa zwanzig Jahren einmal
mit Farbe und Pinsel traktiert, weil das Silbergrau vorn anders war als hinten
und dort wieder anders als in der Mitte. So war es zumindest überall ähnlich
geworden, jedenfalls solange nicht graue Rostschutzfarbenkleckse das Auto wie
Masern überzogen hatten. Herr Bedrich rauschte ab und wollte nach sechs Wochen
liefern.
Das war im April 2010. Heute kann ich mit
Freude vermelden, dass ich meinen HY tatsächlich wieder daheim habe. Allerdings
schrieb man Ende Februar 2011, als Herr Bedrich stolz das Resultat seiner
Bemühungen ablud. Eigentlich hätte er sich auch noch etwas Zeit lassen können,
denn fürs Autobasteln bzw. Buseinrichten war es ja noch viel zu kalt.
Dazwischen lagen Monate des Wartens, der
grenzüberschreitenden Besuche, des Abwägens und Pläneschmiedens – und natürlich
des Zahlens. Aus dem Einschweißen der Bleche wurde zunächst ein Ganzabschliff
bis aufs Blech (wer jemals Wellblech schliff weiß was das bedeutet) und
Neuaufbau der rostbefallenen Stellen, die sich auf weit über die durch Ersatzbleche
abgedeckten Bereiche erstreckten, denn HY-Karosserien eines bestimmten Alters,
also alle, bestehen im Wesentlichen aus Eisenoxidlegierung.
Dann – wenn schon denn schon – erhob sich die
Frage, die etwas schief sitzenden Fenster seitlich im Kastl, die aus den
Hecktüren dreier Ford Transit stammten, durch größere und gerade zu ersetzen
sowie ein neues – wenn man schon dabei ist – in die Schiebetür einzulassen.
Warum nicht, sagte der Drittbesitzer
hocherfreut, während der Fünftbesitzer kaum hörbar mit den Zähnen klapperte und
vorsichtig die Zehen einrollte. Dann frug sich, ob nicht auch der Innenraum,
zumindest vorne, mitlackiert werden sollte, weil da viel nacktes Blech ist und
die Farbe doch etwas anders erschien als die ursprüngliche AC 109 (gris
metallisé) in Einschicht-Form. Die war schon etwas verblasst und außerdem gab
es das Rezept nicht mehr, so dass sie optisch nachgestellt werden musste. Naja,
meinte der Drittbesitzer, wenn schon ... und der Fünftbesitzer biss sich auf
die Zunge, um nicht laut aufzujaulen. Tja, und die Sitze ...die
Kunstlederbezüge waren zerschlissen, sollte man nicht neue – der Drittbesitzer
rieb sich die Hände, das hatte er immer schon gewollt, während der
Fünftbesitzer begann, sich in einer dunklen Ecke der Bedrichschen Werkstatt
leise weinend auf dem Boden zu wälzen. Glücklicherweise achtete Herr Bedrich
stets auf Sauberkeit.
Schließlich die Bremsen – ich hatte einen
Bremskraftverstärker erstanden (gar nicht so leicht! Und gar nicht so
billig!!), den ich eigentlich einbauen wollte, aber der Drittbesitzer meinte,
das könnte doch auch durch einen Mechaniker in Diensten des Herrn Bedrich
erfolgen, der auch gleich die Bremsen prüfen und die Flüssigkeit tauschen
sollte. Daraufhin legten sich die Haare des Fünftbesitzers vom Rechtsscheitel
auf einen Linksscheitel, wobei sie vorher eine Zeit lang unschlüssig in
Mittelposition erigiert verharrten. Und weil der Tank schon heraußen war,
konnte man ihn gleich von innen säubern und neu versiegeln, was dem
Fünftbesitzer eine Art Schockstarre eintrug, die der Drittbeistzer ausnutzte,
um rasch noch das Sandstrahlen der Türen vor dem Lackieren in Auftrag zu geben.
Das hätte der Fünftbesitzer vermutlich nicht überlebt, wäre es ihm klar
geworden.
Kurz, die Arbeiten zogen sich in die Länge,
weil einerseits Herr Bedrich nur dann arbeitete, wenn er und seine Mannen sonst
nichts zu tun hatten (was offenbar selten vorkam) und weil andererseits der
Drittbesitzer einen ungeahnten Einfallsreichtum an den Tag legte, was Herr
Bedrich sonst noch tun könnte, wenn er mal dazu käme. Und wenn dem
Drittbesitzer nichts mehr einfiel, hatte Herr Bedrich blendende Ideen, etwa
neue Gummimatten anzufertigen, neue Dichtungen zu montieren oder – warum nicht?
die Radmuttern zu lackieren, natürlich ohne zu vergessen, die kleinen
Abdeckkappen für die Naben auszubeulen und zu polieren.
Wie der HY dann abgeladen wurde, also im
Februar, war er eigentlich zu schön um wahr zu sein. Denn HYs sind bekanntlich
Alltagsgäule, sie haben verbeult und ein wenig (ein wenig!) rostig daher zu
kommen, mit Schrammen und Macken, grimmigen Spuren der Jahre, kurz, mit etwas,
das bei vornehmen Autos Patina heißt und selber schon teuer ist. So ein
Exemplar wie meines dürfte es also gar nicht geben, denn er schaut aus wie aus dem
Prospekt von Heuliez. Glücklicherweise braucht man nur die Motorhaube zu
öffnen, denn dorthin haben sich offenbar die Spuren der Jahre verkrochen,
zumindest was davon noch übrig war. Dort besteht daher eher ein Überschuss an
Patina. Eine 1-2-3-Zündung ist zwar schon halb eingebaut, aber der Vergaser ist
noch zu überholen, Kühler und Auspuff sind zu dichten, Schläuche zu tauschen –
es fehlt noch an diesem und jenem.
Jetzt muss ich also noch die Einrichtung
erneuern, und dabei erhebt sich wie von selbst die Forderung nach einer dem
Äußeren adäquaten Ausführung. Der Drittbesitzer ist selig ob der
Herausforderung, während der Fünftbesitzer die Nächte heulend und
zähneklappernd vor dem Kühlschrank verbringt und Trost im Alkohol sucht. Die
Aufgabe erscheint geradezu herkuleisch und ist zudem bis zum sommerlichen
Frankreichurlaub zu bewältigen. Überdies geht momentan gar nichts weiter;
derzeit streiten sich Dritt- und Fünftbesitzer sogar um die Grund legenden
Parameter. Während ersterer eine Reiseeinrichtung bevorzugt, die das
mehrpersonige Fahren erlaubt, will letzterer eine Aufenthaltseinrichtung, die
das zweisame Bleiben begünstigt. Ein Kompromiss zwischen beiden ist kaum in
Sicht, ich beschränke mich somit zur Zeit auf generelle Ausbautätigkeiten wie
Isolierung und Verkleidung.
Zweckdienliche Hinweise bezüglich adäquater,
epochengemäßer Einrichtung bitte an die Redaktion. Falls jemand eines der
beliebten T-Shirts mit dem Aufdruck „ich bin schizophren“ auf der Vorderseite
und „ich auch“ auf der Rückseite besitzt, so besteht auch dafür Interesse.
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