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Zahnersatz oder man soll nie nie sagen
von Helge Torgersen
Im Zuge der Erstellung meiner Anleitung zum Getriebeausbau hatte
ich dem geneigten Leser geraten, die Finger vom Innern des Getriebes zu lassen.
Diesen Rat habe nicht nur ich nicht befolgt. Auch Karel Beukema behauptete vor
längerer Zeit recht unvefroren, ein Getriebe zu reparieren sei gar nicht so
schwer (siehe http://www.tractionavant.ch/Berichte/Technik/sixgetriebe/zerlegung.php
). Was er allerdings versäumt hat mitzuteilen, sind die Einzelheiten. Daher
soll im Folgenden auf einige Feinheiten beim Tausch eines 1.Gang-Zahnrades eingegangen
werden, um dem geneigten Leser vor Augen zu führen, wohin solche nicht ungefährliche
Reparaturen in Eigenregie führen können. In meinem Fall folgte die Rache nämlich
auf dem Fuß: das Getriebe läuft jetzt viel besser, und ich habe nichts mehr
zum Schrauben und Ärgern.
Aber der Reihe nach: Manche werden sich
erinnern, dass ich einen guten Freund habe, der, wie praktisch, in Wien eine
Werkstatt für alles und insbesondere 2CVs betreibt (siehe http://www.2cv.at/). Bisher ist es mir nicht
gelungen, ihn zum Erwerb einer Traction zu überreden, dennoch ist er kürzlich
fremdgegangen: er hat sich einen alten Jaguar zugelegt, obwohl er dafür
eigentlich noch zu jung ist. Denn ein derartiger Schritt ist eher üblich, wenn
man ein gewisses mittleres Alter erreicht hat und, sagen wir, die Jahre so
dahin schmelzen sieht. Allerdings schaut dann der Jaguar meist rot aus, ist oben
offen wie die berüchtigte Erdbeben-Richterskala und hört auf den Namen „E“. In
diesem Falle allerdings war das Kätzchen blau, hatte eine Automatik und vier
Türen sowie einen Namen, unter dem man heute noch Jaguar-Limousinen ordern
kann. Also ganz was Zahmes. Was meinen Freund allerdings nicht davon abhielt,
die Schmusekatze zuweilen brutal um die Kurven zu prügeln – er pflegt
ansonsten, auch das eine Neuerung, in alten Volvos Rallyes zu bestreiten. Was
das mit dem Getriebe im Six zu tun hat?
Nun, der Jaguar gehörte vor vierzig Jahren, wie
aus dem Typenschein hervorging, einem Herrn im schönen Geburtsort meiner Frau,
einer Gemeinde mit ein paar tausend Seelen in einem der verträumteren Teile des
sowieso als verschnarcht geltenden Österreich. Da lag es natürlich nahe, den
Erstbesitzer aus seinem Schlaf aufzustöbern und ihn mit den Gegenständen seiner
Jugend zu konfrontieren. Ich borgte mir also die Katze aus und fuhr aufs Land.
Der alte Herr Jaguar war inzwischen verstorben, aber sein Sohn erinnerte sich,
dass sie Wetten abgeschlossen hätten, ob bei der monatlichen Ausfahrt des Alten
nach Salzburg der Wagen bereits in Attnang-Puchheim oder erst in Mondsee liegen
bleiben würde. Was mir unplausibel vorkam angesichts der Fahrweise, der das
Auto heutzutage ausgesetzt ist.
Den Six hatte ich so lange in die bewährten
Hände meines Mechanikerfreundes gegeben. Der hatte meine Traction bereits
mehrfach recht zügig bewegt, wobei ich als Beifahrer meist zwischen Sitzschiene
und Heizungsrohr zu liegen kam (ich habe einen Rechtslenker). Als ich nach dem
Nostalgiewochenende meinen Six wieder auslöste, hob sich meine linke Augenbraue
leicht indigniert (so ein Wochenende im Jaguar ruft umgehend
Verhaltensauffälligkeiten hervor): Er klapperte! Das beunruhigende Geräusch trat
im ersten und Rückwärtsgang auf, wobei jede Umdrehung des verantwortlichen
Zahnrads mit einem markanten „Klack“ einher ging. Ich diagnostizierte
Zahnausfall – ein Befund, den mein Mechanikerfreund mit ungläubigem
Kopfschütteln quittierte, woher ich das wisse, es könnte doch auch ein Lager,
er hätte doch nicht und überhaupt sei er kaum gefahren ...
Nun heißt es ja, gewisse Sachen leiht man nicht
einmal seinem besten Freund. Im Gegensatz zum geneigten Leser, der jetzt
möglicherweise schmutzige Assoziationen von sich weisen muss, meine ich damit
Gegenstände wie Taschenmesser oder Gewindeschneider. Auch Automobile können
darunter fallen, wenn sie ein gewisses Alter überschritten haben. Bei Tractions
ist dies unausweichlich, weil sie leider nicht bis in dieses Jahrtausend gebaut
wurden, was ihre Verleihfähigkeit sicher ernorm erhöht hätte. So aber rächte
sich der Tausch. Oder eigentlich nicht, weil meinem Freund passierte, was mir
spätestens zwei Wochen später passiert wäre. Und da er Mechaniker ist, bekam er
gleich ein schlechtes Gewissen, was ich schamlos ausnutzte.
Das Getriebe lispelte sozusagen im ersten wie im Rückwärtsgang,
es bestand also Handlungsbedarf, der sich, so meine Vermutung, im Tausch eines
Zahnrads für den ersten und den Rückwärtsgang manifestieren würde. Dieses Zahnrad
ist doppelt nicht nur in dem Sinne, dass es für zwei Gänge zuständig ist, sondern
auch dahingehend, dass es nicht nur außen einen Zahnkranz trägt, sondern auch
innen. Es sitzt nämlich auf dem Synchronkörper, der wiederum nur für den zweiten
und dritten Gang arbeitet. Der Erste und der Rückwärtsgang sind, wie man weiß,
bei Tractions unsynchronisiert, auch wenn das zuständige Zahnrad in intimer
Nähe zur Synchronisation beheimatet ist, ihr sozusagen aufsitzt. Da das Ganze
einige Höhe erreicht, hört das Zahnrad auch auf den Namen „Turm“ (siehe Schnittzeichnung
zum Kraftfluss in den drei Gängen in Ausbau
des Six Getriebes Teil 2 ).
Hauptwelle mit Synchronkörper und aufsitzendem 1.Gang-Zahnrad
(Unteres Bild: die Ölpumpe, siehe weiter unten)
Auf gut Glück erkundigte ich mich also nach
einem Nachbau-Turmzahnrad bei einem deutschen Händler. Das letzte hatte ich im
Zuge einer Getrieberevision vor vielen Jahren in der Schweiz erstanden; es fiel
bereits nach Kurzem dem Kariesteufel zum Opfer, woraufhin der Händler mir
anstandslos ein neues zusandte, das etliche Jahre hielt. Nachbauteile sind
immer ein Wagnis, aber was soll’s – fast jeder über sechzig, habe ich mir sagen
lassen, weiß aus leidvoller Erfahrung, dass dritte Zähne wenig verlässlich
sind, man muss halt damit leben. Getrieben über sechzig scheint es ähnlich zu
gehen.
Blieb also nur noch der Aus- und Einbau. Dazu musste zunächst
die Schachtel der Geschwindigkeiten raus, wie die Franzosen poetisch zum Getriebe
sagen. Wie der geneigte Leser inzwischen weiß, ist das kein Problem, sofern
ein genügend großer Vorrat an trockenen Socken zur Verfügung steht (siehe Wie
man ohne Motorausbau das Getriebe einer Six entfernt ). Da ich in diesem
Metier über eine gewisse Übung verfüge, hatte ich innerhalb kürzester Zeit das
Getriebe vor mir und Rückenschmerzen hinten. Immerhin wiegt das Ding ja soviel
wie zwei Säcke Kartoffeln (oder Erdäpfel – bemerkenswerter Weise ist die Sprachgrenze
diesbezüglich uneindeutig, ich habe mir sagen lassen, dass auch in der Schweiz
einerseits von Herdöpfli, andererseits von Kartöffli die Rede ist, zumindest
diesseits des Röstigrabens. Offenbar sind sie aber kantonsunabhängig überall
recht klein, daher der Diminuitiv. Auch in Österreich gibt es diesbezüglich
Unterschiede – in Vorarlberg redet man von Krumpere, also Grundbirnen, in Oberösterreich
von Erdöpfün, im östlichen Niederösterreich von Gatoffön, in Kroatien hingegen
wieder von Krumpire, ohne insinuieren zu wollen, dass der Balkan zu Österreich
gehöre oder umgekehrt. Der Diminuitiv wird aber kaum verwendet, außer liebevoll
in der Wiener Küche – etwa beim Erdapferlsalod –, was wieder ein schlechtes
Licht auf die Intelligenz der österreichischen Landbevölkerung wirft, weil Feldfruchtgröße
und Klugheit angeblich invers proportional sind – aber ich schweife schon wieder
ab.)
Der Jaguarfreund kam im Jaguar angereist, packte
das Getriebe in den Kofferraum (doch, das geht!) und fuhr damit in seine
Garage, weil dort alle notwendigen Werkzeuge zur Hand waren, wie er meinte, und
meine vergleichsweise dürftig ausgestattet ist. Das Getriebe reiste also in
vornehmem Ambiente samt Reparaturanleitung in die Stadt, wurde in die Werkstatt
geschafft und ein paar Tage später begann ich dort mit der Zerlegung. Gegen das
Hinaufwuchten auf die Werkbank beschwerte sich zwar mein Rücken, aber ich
würdigte ihn keines Blickes, was wegen der Schmerzen sowieso unmöglich gewesen
wäre.
Will man ins Innere des Getriebes vordringen,
empfiehlt sich zunächst ein Blick in die Reparaturanleitung. Diese ist so
kompliziert abgefasst, dass man sein Vorhaben lieber gleich bleiben lässt, das
Getriebe einem Fachmann überantwortet und sich somit viel Arbeit erspart.
Leider hatte der Jaguarfreund allerdings die Reparaturanleitung samt Jaguar
inzwischen eingewintert und sah sich außerstande, bei diversen Jaguarbesuchen
im Winterquartier diesem die Reparaturanleitung zu entnehmen. Außerdem sei er
ja eh Fachmann, und aus diesen beiden Gründen fand die Reparatur ohne Anleitung
statt. Der Erfolg gab dieser Strategie zur Gänze Recht. Das allerdings nur,
weil mein Mechanikerfreund, meinen Bemühungen zuschauend, des Öfteren so
genervt war von dem was er sah, dass mich sein Ellenbogen etwas unwirsch vom
Ort des Geschehens verdrängte und er selber Hand anlegte: so geht das. Ich bin
eben kein Fachmann.
Man beginnt also mit dem Öffnen diverser
Klappen. Nicht was manche jetzt meinen, obwohl das vorangehende Palaver über
die richtige Vorgangsweise ein unausweichlicher Bestandteil einer jeden
Reparatur zu sein scheint. Vielmehr ist die Seitenöffnung gemeint, die durch
Abschrauben des Deckels freigelegt wird, durch den das Schaltgestänge geführt
wird. Hier sollte man sich merken, wie die Hebel für die Gänge eingerastet sind
– sie sind auf einer verzahnten Achse befestigt, mit zahlreichen Möglichkeiten,
die Hebel aufzuschieben. Ich stellte fest, dass meine falsch drauf saßen, dass
es aber nichts ausmachte, denn bisher ließ sich das Getriebe auch ganz gut
schalten. Derartige Erlebnisse häuften sich beim Zerlegen. Das ganze Getriebe
ist zwar furchtbar heikel, aber eigentlich ist es egal, wie die Dinge
zueinander stehen, es funktioniert oder eben nicht. Es ist, wie ein
postmoderner Philosoph es ausdrücken würde, fehlertolerant komplex. So kann man
etwa die beiden Hebel nicht miteinander verwechseln, weil die Ringe, mit denen
sie auf der Achse sitzen, unterschiedliche Durchmesser haben. Trotzdem ist es
ganz interessant, sich die Position zu merken, und sei es nur, um zu sehen,
welchen Blödsinn der Vorgänger bei der letzten Getriebeüberholung gemacht hat.
Man wird dann nachsichtiger mit sich.
Dermaßen bestärkt kann man weiter zerlegen. Mit
dem Deckel kommt auch die Verriegelungsbetätigung mit, die das
Gangherausspringen verhindern soll. Hier gilt das Gleiche: eigentlich ist die
Einstellung sehr heikel, aber uneigentlich geht es gar nicht anders als es eben
geht. Citroen verließ sich offenbar nicht ausschließlich auf die Intelligenz
des Reparaturpersonals, eine oft weise Entscheidung. Obwohl Citroenmechaniker
bekanntermaßen über gewisse körperliche (drei Arme mit jeweils fünf Gelenken)
und geistige (weitest gehende Unlogik-Toleranz) Eigenschaften verfügen müssen,
um überhaupt etwas ausrichten zu können.
Aber zurück zum Objekt der Sektion. Geleitet von
forensischem Forscherdrang und bei freiem Blick ins Innere sieht man zum
Beispiel, dass dem Turmzahnrad ein Zahn fehlt, wenn vorher das Fahren im ersten
Gang von einem „klack-klack“ -Geräusch begleitet worden war. Wenn man Glück
hat, findet man auch den Zahn. Meiner (vielmehr der des Turmzahnrades) war
allerdings erst im Differential zu entdecken, wo er glücklicherweise noch
keinen Unfug angestellt hatte.
Karies im Turmzahnrad (3. von links unten)
...und so sieht Karies von der Nähe aus
Bevor man aber das Differential öffnet, sind die
Antriebswellen zu entfernen. Die sind, nach Abschrauben der beiden
Überwurfschalen, einfach mittels Kronenmuttern befestigt, die allerdings mit
Splinten gesichert sind (wer hat Splinte erfunden? Es muss jemand sein, der hauptberuflich
einen schweren Stein den Berg hinaufwuchtet, ihn aber kurz vor dem Gipfel immer
wieder hinunterrollen lässt). Die Achsstummel, sofern nicht von Biberfraß
betroffen (siehe http://www.tractionavant.ch/Berichte/Technik/bruch/biberfrass.php
), sollte man samt Beilagscheiben nach links und rechts getrennt aufbewahren,
zur Sicherheit. Nicht dass sie sich im Entferntesten unterschieden, aber man
weiß ja nie. Möglicherweise möchte man sie später wieder montieren und die
Splintlöcher sollten dann mit den Ausnehmungen in den Kronenmuttern fluchten,
wenn letztere festgezogen sind. Meistens geht es sich gerade nicht aus und man
darf wieder von vorn anfangen.
Dann kann man das Differentialgehäuse öffnen.
Das geht von der Rückseite, die Stehbolzen sind zwar meist fest, aber wie die
meisten Probleme mittels großzügiger Anwendung von Caramba (sowohl des Fluchs
als auch des gleichnamigen Öls), leichtem Klopfen und reichlich Zeit zu lösen.
Gerne sitzt das Gehäuse fest, weil der Vor-Restaurator dieses mit Dichtmittel
an den Hauptteil angepappt hatte. Das bedeutet, dass man mit einem
Schraubenzieher so lange herumquaht (oberösterreichisch für drehendes Stößeln),
bis die ganze Chose mit einem Ruck auseinander fällt. Es ist dabei sehr
wichtig, sich die Einstellungen der Rändelschrauben zu merken, mittels derer
die seitlichen Kegelräder gegen das Pignon gedrückt werden. Das wird mit dem
Auseinanderfallen allerdings illusorisch, denn die eine Hälfte des Gewindes ist
im Differentialdeckel, die andere im Hauptteil, und wenn beide voneinander
weichen, fällt das Rändelrad heraus. Vorher hat man natürlich vergessen, sich
die Position anzuzeichnen, aber eigentlich ist es eh wurscht, weil es hinterher
entweder funktioniert oder eben nicht. Siehe oben.
Das Differential muss man ausbauen, weil sonst
die Hauptwelle mit dem Synchronkörper nicht heraus kommt, auf dem das
Turmzahnrad sitzt, ebenso muss die Zwischenwelle raus. Letztere muss weichen,
weil ... weil kein Platz ist. Sonst eigentlich nicht. Aber da das Getriebe
konstruktionsbedingt unter Stauchung leidet (über die Hintergründe habe ich
mich schon früher ausgelassen, siehe oben), ist alles etwas beengt. Jetzt wird
auch das Segensreiche der seitlichen Klappe ersichtlich: man kriegt die
Zwischenwelle samt den drei Zahnrädern darauf nur zusammen heraus, weil
untrennbar verbunden. Vor den Erfolg setzen die Götter bekanntlich den Schweiß,
in diesem Fall glücklicherweise ohne –brenner.
Die dreifach bezahnradete Zwischenwelle
Die Zwischenwelle entnimmt man, indem man, nach
Entfernen des vorderen Deckels (Achtung Distanzringe gut aufheben, sonst ist
hinterher alles verrutscht) zuerst den des hinteren Lagers zum Kupplungshaus
durch die hohle Welle von vorne mit einer 30 cm-Stange heraus drückt. Die
Stange ist vorne sicher so spitz, dass sie den dünnen Deckel durchbohrt, weil
der bombenfest sitzt und die Stange keine Stange, sondern ein Schraubenzieher
ist. Also doch Schweißbrenner.
Das Öffnen der Mutter am Vorderende der Welle
ist allerdings nicht ganz einfach, denn man braucht einen Schlagschrauber mit
einer Nuss, die in kaum einer Garage vorrätig ist, außer man hat alte
Traktoren als Hobby. Citroen stellt in der Anleitung nämlich mittels
Spezialwerkzeugangaben klar, dass Getriebereparaturen nichts für Weicheier und
Warmduscher sind: Die Spezialschlüssel 1731-T und 1732-T enthalten die Größen
50, 46, 42 und 38.
Ziemlich unnötige Spezial-Schraubenschlüssel
Nach Öffnen der Befestigungsmutter kann man die
Lager mittels einer noch größeren Nuss mit der ganzen Welle heraus treiben und
hat dann Platz. Sobald die Welle frei ist, kann man sie entnehmen, denn sie
passt haarscharf durch die Öffnung.
Der Griff ins Volle
Der aufmerksame Leser wird gleich einen Fehler
festgestellt haben: natürlich ist etwas im Wege, nämlich die Schaltgabeln samt
Gestänge und Verriegelungsmechanismus. Die Schaltgabeln sind an Schlitten
befestigt, deren Position ebenfalls zu merken ist, wenn nicht, ist es aber egal
– man muss sie hinterher sowieso aufs Neue ausmessen. Auch dazu gibt Citroen
Spezialwerkzeug an, das, wie meistens, völlig überflüssig ist. Das merkt man
aber erst, wenn man es prophylaktisch besorgt oder angefertigt hat oder – noch
schlimmer – es gar hat machen lassen. Anderes Spezialwerkzeug wäre dagegen
dringend nötig, aber dafür gibt es leider keine Vorlage. Doch das brauchte mich
ja nicht zu bekümmern, denn ich hatte keine Reparaturanleitung zur Hand; sie
ruhte sanft im Jaguar.
Während die Schaltgabeln noch relativ leicht
auszubauen sind, muss der Verriegelungsmechanismus ausgetrickst werden, um die
Führungsstangen heraus zu bekommen. Und hier beginnt die Sache wirklich
problematisch zu werden. Die beiden Führungsstangen sind vorne durch
verschiebbare Stifte gesichert, die bewirken, dass immer nur eine Gabel
verschoben werden kann; hinter den Schaltgabeln sitzt die kupplungsbetätigte
Verriegelung, eine Art Perlenspiel. Wer jemals Hermann Hesse gelesen hat, weiß
um die Sache mit den Glasperlen, eine eher esoterische Angelegenheit. Hier geht
es weniger esoterisch, aber ähnlich langatmig zu; es handelt sich außerdem nicht
um gläserne, sondern um stählerne Kugeln, und zwar vier davon, sowie um drei
Federn. Insgesamt bewirken diese Teile erstens, dass die Schaltgabeln mit einem
Klick in die jeweiligen Gangpositionen rutschen, und zweitens, dass sie das
eben nicht tun, oder zumindest nur dann, wenn die Entriegelung über die
Kupplungswelle mittels eines langen Schnabels betätigt wird.
Wenn man nun unbedarft die Führungsstangen
ausbaut, flutschen die verantwortlichen Perlen gerne heraus, weil sie ja unter
Federdruck stehen, mit Vorliebe in Begleitung ihrer Federn. Es ist nicht
unähnlich jenen altertümlichen Scherzartikel-Kistchen, die, wenn geöffnet, ein
quietschendes Teufelchen freigeben, das sich federgetrieben in die Lüfte erhebt
und fürderhin unauffindbar bleibt, bis die Putzfrau es ein paar Wochen später
hinter dem Wohnzimmerschrank hervorzaubert. Desgleichen ist zunächst ungewiss,
wohin die Kügelchen und Federchen alle flutschen, weil man derartiges ebenso
wenig erwartet wie einen kleinen Gummiteufel. Sie sind jedenfalls futsch.
Erstaunlicherweise lassen sie sich meistens wieder finden, allerdings nie dort,
wo man danach sucht. Mit anderen Worten, man ahnt Böses beim Zusammenbau. In
Wirklichkeit ist dann alles viel schlimmer.
Wenn die Zwischenwelle draußen ist, kommt die
Hauptwelle dran. Diese wird in Richtung Differential ausgebaut (weswegen
letzteres ja auch weichen musste), zuvor ist ein Ausbau des niedlichen
Ölpümpchens erforderlich, die vor der Hauptwelle sitzt, was aber einfach geht,
da es freundlicherweise nur angeschraubt ist. Die Hauptwelle, die das
Turmzahnrad auf dem Synchronkörper trägt, lässt sich nach Öffnen der Mutter
(Mammut-Nuss!) relativ problemlos samt Lagern mittels Klopfen über eine große
Nuss herausdrücken, jedenfalls bei meinem Getriebe. Angeblich soll aber die
Chose zuweilen so fest sitzen, dass man einen speziellen Ab- oder eigentlich
Herauszieher braucht. Der ist freilich so speziell (MR 3459), dass man lieber
darauf hoffen sollte, die Sache mit leichtem Klopfen zu bewerkstelligen.
Das Zahnrad zu tauschen ist jetzt kein Problem –
bloß das alte abziehen, das neue drauf schieben. Weiter braucht man nichts mehr
zu zerlegen; viel mehr geht allerdings auch nicht. Zum Glück braucht die
Primärwelle ganz oben nicht heraus, obwohl ich mich davor auch nicht fürchten
würde. Zwar wird auch hier ein Abzieher gefordert, der ist aber vergleichsweise
einfach gestrickt und vermutlich ersetzbar.
Langsam wächst nun der Teileberg, und man ist
gut beraten, genügend Platz zu reservieren sowie etliche Gefäße bereit zu
halten, in denen die Einzelteile ihrer Provenienz nach geordnet abgelegt
werden. Ich darf nicht ohne Stolz gestehen, dass mir beim Zusammenbau auf diese
Weise nicht eine Schraube übrig geblieben ist. Ein paar habe ich allerdings
ergänzen müssen. Offenbar waren in einigen der Gefäße unsichtbare Schwarze
Löcher, obwohl sie sicher nie in der Nähe von Genf und damit dem Large Hadron
Collider gewesen waren.
Der Zusammenbau erfolgt (in Österreich würde man
sagen „no na“) in umgekehrter Richtung, eine in Reparaturanleitungen ebenso
beliebte wie überflüssige Floskel, weil sie Wesentliches verschweigt. Aber über
die Reparaturanleitung brauchte ich mich ja diesmal nicht zu ärgern, denn sie
war, erraten, im Jaguar.
Zunächst die Sache mit dem Zahnrad. Das alte
hatte von Natur aus an den Seitenkanten abgeschrägte Außenzähne, die bewirkten,
dass der erste Gang relativ leicht einzulegen war, sobald das Getriebe
stillstand oder auch mit dosiertem Zwischengas. Auch wenn die Zahnräder nicht
optimal zueinander standen, wurde durch die sozusagen runden Kanten bewirkt,
dass sie ineinander griffen. Das neue Zahnrad hatte scharfe Kanten, nicht nur
außen zur Zwischenwelle, sondern auch innen gegen den außenverzahnten
Synchronkörper. Entsprechend schwierig gestaltete sich daher das Verschieben
per Hand, was unangenehme Konsequenzen für den Fahrbetrieb nahe legte. Dafür
war die Auflagefläche der Außenzähne wesentlich größer, damit die
Lastverteilung besser und die Gefahr geringer, dass eines abbricht. Dachte ich
mir jedenfalls, weil irgendwie muss man ja der aufkommenden Sorge Herr werden.
Diese Sorge verflüchtigte sich etwas durch den
ziemlich problemlosen Einbau der Hauptwelle; ich hatte bezüglich Positionierung
Bedenken gehabt, aber mein Mechanikerfreund klöpfelte die Lager in die richtige
Lage und meinte „passt schon“. Die Markierungen vom ursprünglichen Sitz waren
noch zu sehen, es machte also nichts, dass verabsäumt worden war, diesen vorher
anzuzeichnen. Erstaunlich ist dabei, wie genau „passt schon“ ist, wenn das ein
Fachmann sagt. „Umgekehrt“ erwies sich hingegen als zutreffend bezüglich des
Einbaus der Zwischenwelle. Sie ging immer noch ganz knapp durch die Öffnung,
die Lager wurden ebenso klöpferlweise positioniert und – passten schon. Die
Ölpumpe anzuschrauben war ein Klacks, diverse Deckel ebenso, allerdings sollte
man einen Satz passender Papierdichtungen haben, die beidseitig mit einer
dünnen Lage Dichtmasse versehen werden können. Bewährt hat sich ein schwarzes
Zeug mit dem bekannten Namen Reintz, aber nicht Hugo. Der steht zwar in der
Reparaturanleitung, die aber war, sagte ich das schon?, im Jaguar.
Dann die Sache mit den Schaltstangen und deren
Verriegelung. Ein bloßes „umgekehrt“ war schon deswegen unmöglich, weil davon
hüpfende Federchen und Kügelchen mitnichten wie im Filmrücklauf von
Geisterhand in ihre ursprüngliche Position zurück zu finden pflegen. Das
Stahlperlenspiel beim Six-Getriebe lehrt vielmehr ostasiatische Duldsamkeit
selbst wenn man alle Teile hinter diversen Kisten und Kästen hervorgesucht
hat. Wer jemals vier kleine Stahlkugeln in ein verstecktes Loch quer zur
Schubrichtung gegen einen Federdruck hinter eine Welle gebracht hat, mag
aufstehen und nach Hause gehen. Alle anderen aufgepasst – hier erweist sich die
wahre Meisterschaft in tiefenmeditativer Mechanik. Am besten geht’s, wenn man
ein seitliches Loch (in dem normalerweise die Welle zu Hause ist) zu hält, die
erste Kugel durchs andere seitlich hineinbugsiert, nachdem man die erste Feder
eingesetzt hat, dann mit der Welle nachfährt und versucht, die Kugel unter die
Welle zu bekommen. Man braucht, wie öfter bei Citroen, ca. drei bis vier Hände
dazu, die sich aber gegenseitig im Weg sind.
Hat man die erste Kugel drin, kann man die erste
Welle einschieben, dann kommt die zweite Kugel, die zweite Feder, die dritte
Kugel, die zweite Welle, die vierte Kugel und die dritte Feder. Oder so
ähnlich, ich weiß es nicht mehr. Ich sehe mich nur noch nach herum springenden
Federn und Kugeln haschen, auf allen vieren den Werkstattboden absuchen, um die
fehlenden dann doch im Inneren des Getriebes mit einem Magnetstab heraus zu
fischen, fluchen, Kataloge durchstöbern auf der Suche nach passenden
Ersatzkugeln, was dann aber glücklicherweise unnötig war etc. Wäre ich nicht in
der Werksatt meines Mechanikerfreundes gewesen, sähe man heute garantiert einen
weiteren Abdruck eines Siebzehnerschlüssels and der Wand. So allerdings musste
ich mich leider zusammen reißen. Glücklicherweise hatte der Werkstattinhaber
ein ruhiges Händchen beim Einkugeln, sonst stünde ich wohl heute noch da. Vor
allem, weil ich mich nach der Reparaturanleitung gehalten hätte, deren
Vorschläge allerdings, wie ich später nachlas, eher undurchführbar klangen.
Aber das brauchte mich ja nicht zu kümmern, weil ich sie sowieso nicht bekam,
denn die dicken Jaguar-Lederpolster erstickten jeden noch so lauten Fern-Rat
seitens der Reparaturanleitung.
Was man im Zuge des Zerlegens allerdings nie tun
sollte ist, den eventuell widerspenstigen Führungsstäben der Schaltgabeln zum
Herausziehen mit einer Zange zuleibe zu rücken. Offenbar sind sie aus eher
weichem Stahl und die Zange hinterlässt Riefen, die es verhindern, dass die
Stangen leicht und reibungslos in ihren Führungen gleiten. Diesen
Anfängerfehler hatte ich natürlich gemacht, die Stangen hatte mein Mechanikerfreund
nach vielen Kugelspielchen nun eingebaut, aber es ließ sich nicht schalten. Ich
dachte an verspießte Kugeln oder verbogene Stangen und nahm letztere wieder
heraus ......
Wahre Freundschaft ist, wenn man einander nicht
böse sein kann. Außerdem hatte ich das unschlagbare Argument der im Jaguar
eingewinterten Reparaturanleitung. Schließlich ist alles Übungssache, und beim
zweiten Mal geht’s viel besser, allerdings nur dann, wenn keine Federteufelchen
im Spiel sind. Schließlich waren aber die geglätteten Stangen eingebaut, die
Kugeln an ihrem Platz, und der erste und Rückwärtsgang ließen sich von Hand
einlegen. Die Schaltgabeln und damit die Synchronisation einzustellen ist ein
Kinderspiel, die Position der einen ist vorgegeben, die der anderen die genaue
Mitte des Schaltweges zwischen zweitem und dritten Gang, mittels Lineal leicht
auszumessen. Auch das war zuvor nicht ganz exakt gewesen und sollte sich nun
als viel besser geglückt herausstellen. Deckel drauf, achten, dass der
Schaltmechanismus in die richtigen Schaltgabeln eingreift, aufpassen, dass die
Verriegelung richtig sitzt, und fertig!
Leider nicht ganz, denn da ist ja noch das
Differential. Laut Reparaturanleitung stehen auf Tellerrad und Pignon die
laufende Nummer und der einzuhaltende Abstand in Hundertstel Millimetern. Auf
meinen stand bloß „9X31“ (ich habe inzwischen doch eine längere Übersetzung,
ohne dass der Six deswegen schneller fährt), der Abstand blieb Ratespiel. Ich
konnte mich erinnern, dass in der Anleitung irgend etwas von einer speziellen
Tastuhr gestanden hatte, und dass der Abstand zwischen Kegel- und Tellerrad
ganz genau einzustellen sei etc. Schall und Rauch, denn die Reparaturanleitung
– eben, war eingewintert. Also wie justieren? Nach Einlegen des Tellerrades und
der seitlichen gerändelten Befestigungsräder, die dessen Position festlegen, in
das auf dem Kopf stehende Getriebe kam einfach der Deckel drauf (mit Dichtung)
und wurde festgezogen. Und nun?
Ich probierte eine plausible Position des
Tellerrades, die ich mittels der Rändelringe einstellte, und prüfte das Spiel
von Hand durch Verdrehen der Antriebsachsen. Es war, wie mir fachmännisch
bestätigt wurde, zu gering. Zum Glück lag auf der Nebenbank eine Hinterachse
von einem alten Volvo, die als Vergleichsobjekt diente. Ich stellte also das
Tellerrad auf etwa dasselbe gefühlte Spiel ein, das angeblich dem Volvo gut zu
Gesicht stand – „passt schon“. Was sollte schon schief gehen, notfalls ließ
sich die Einstellung ja über die Spionklappen hinter den Antriebsflanschen
nachjustieren. Und so blieb es dann eben. Glücklicherweise störte die
Reparaturanleitung nicht dabei, sie hätte bestimmt aufgejault, war aber, wie
gesagt, zwangseingewintert, wenn auch in edler Umgebung.
Nach Montage der Antriebsflansche baute ich das
Getriebe in dieser Form wieder ein, achtete darauf, die sechs
Befestigungsschrauben erst anzuknallen, nachdem ich die Kupplungswelle
eingeschoben hatte, montierte nach deren Wiederherausziehen die Kupplung (ich
hatte im Kupplungsgehäuse an der vorderen Seite mit der Flex ein paar
Millimeter Gusstahl abgetragen, wie es die Reparaturanleitung empfiehlt – das
hatte ich mir auch in deren Abwesenheit gemerkt, und dadurch ging die Scheibe
viel leichter hinein), justierte die Schaltstangen und die Verriegelung und
montierte den Kühler. Das Omen wollte es, dass ich dabei nicht einmal nasse
Socken davon trug. Ich startete den Motor und FUHR AUF ANHIEB.
Nach etwa hundert Metern blieb ich stehen und
schüttelte den Kopf. Das war unmöglich. Ich kniff mich in den Arm um sicher zu
sein, dass ich nicht träumte. Es funktionierte tatsächlich. Die Einstellungen
passten nicht nur „schon“, sondern besser als vorher. Nicht einmal die Kupplung
musste nachgestellt werden. Zwar ist erwartungsgemäß das Einlegen des Ersten
etwas mühsam und oft erst nach Aufsuchen sämtlicher anderen Gänge möglich (was
bei abrupt grün werdenden Ampeln zu netten Szenen führt, in denen der Fahrer im
Getriebe rührt als ob er Schlagobers produzieren wollte), aber ich hege die
Hoffnung, dass sich das neue Zahnrad mit der Zeit etwas die Hörner bzw. Kanten
abstößt.
Allerdings sind jetzt einige bisher
unauffindbare Vibrationsquellen, die sich offenbar im Getriebe versteckt hatten
und mir bereits zur Gewohnheit geworden waren, nicht mehr vorhanden. Neulich
bei einer der ersten Überland-Touren hat mir der Tacho erschrocken
signalisiert, dass ich hundertzwanzig fahre – ich habe es nicht einmal gemerkt.
Da sieht man wieder, wie gefährlich Reparaturen
in Eigenregie sind. Vor allem, wenn Fachleute dabei sind.
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