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Raid Laponie 1998 (Teil 2)
Wie wir die Sauna lieben lernten und vom Fisch ein bisserl
weniger riechen mußten
I.
Was
endlich alle wissen wollen, die noch nie bei einer Raid Laponie gefroren haben:
Welchen Hauch von gütiger Wärme breitet die Luftkühlung der Ente
über die Passagiere?
Vor zwei Jahren noch hatten wir die Entenheizung als die beste
der Welt ins Blatt gerückt, so lange man der Ente eine Rundum-Isolierung
anlegt. Als Entschuldigungsgrund läßt sich die Milde
des skandinavischen Winters im Jahr 1996 anführen: Damals
freuten wir uns über jede Temperatur, die einen Dreier an
erster Stelle trug. Wir klatschten die minus 30 ein, sprangen
auf zur Welle für minus 31, damit war das Heldentum heiter
abgehakt.
Diesmal dürfen -30°C als Aufwärmübung für
das Wetter durchgehen. Minus 35 sind plötzlich chronisch
normal in Reichweite des Polarkreises, und damit das alles nicht
einfach nur draußen vorüberzieht wie die Gewinne beim
Lotto, planten wir einen Ruhetag in Naruska.
Naruska liegt direkt neben der russischen Grenze und erinnert
nur zufällig ans Niemandsland, die Menschen dort sind von
einer Heiterkeit, die nur als milde Form einer Manie (hervorgerufen
durch chronische Verzweiflung) erklärt werden kann: Im Winter
liegt dort der Kältepol Finnlands, und kaum ist der Schnee
dahingeschmolzen, fallen die Mücken ein. Wir schätzten
die Dauer des Sommers auf drei Tage, in schlechten Jahren auf
einen Vormittag.
II.
Ich zog beim Autofahren an, was ich an wärmender Kleidung
dabeihatte, wobei es mich stutzig werden ließ, daß
Sloten diesmal NICHT ÜBER MEINE DAMART-UNTERWÄSCHE SPOTTETE
(sondern heimlich auch seine anzog), meinen Schal unbeachtet ließ,
diskret meine Fäustlinge übersah, während er über
die Kompatibilität seiner molligen, finnischen Handschuhe
mit dem Acadiane-Lenkrad referierte und aus seinem Haar eine Leningrad-Cowboy-Tolle
formte, um die Heizluft direkt an die Stirn zu leiten. (Er, indes,
behauptete, dies geschähe aus Gründen der Authentizität.
Ich wollte mit einer eindeutigen Grimasse kontern, was aufgrund
geschätzter 12,3°C Gesichtstemperatur mißlang.)
Dermaßen isoliert überfuhren wir den Polarkreis, der
praktisch nicht wahrzunehmen war, weil eine alte Raid-Laponie
Tradition, ein olfaktorisch, sagen wir, interssanter Stop, entscheidend
weichgezeichnet durch eine Speise, die veranstalterseits mit famous
appetizer zart umschrieben wurde, weil dieser Stop als Gesamtkunstwerk
auf den nächsten Tag verschoben wurde.
Einstweilen pflegten wir ja andere Beschäftigungen, die uns
daheim wieder niemand glauben würde: Wir beobachteten das
Thermometer. Es liebte soeben den direkten Weg. Es zeigte Ziffern,
die wir nie zuvor mit einem Minus in Verbindung gebracht hätten.
(Es schon). Es durchlief die Instanz der Zahlenreihe mit einem
Eifer, den wir alleine von Jacques Tati in der Rolle des Briefträgers
kennen.
Das letzte, was wir sahen, waren -38°C. Dann wurde es finster, was den
Vorteil hatte, daß wir nicht ständig auf die Skala starren mußten.
Und den Nachteil, daß sich die Kälte noch mannhafter erhob: Der Tiefstand
war bei -44°C ausgependelt, derweilen war der Weg auf die Breite einer
Nebenfahrbahn und die Unerbittlichkeit einer Sackgasse geschrumpft, und auch
die Entenheizung war irgendwie schlecht aufgelegt: Minus acht Grad im Auto lassen
sich mit einem Urlaub in der Tiefkühltruhe annähernd übersetzen.
Auch frieren zuerst die Seitenscheiben vollends zu, dann läßt sich
die Frontscheibe zarte Eisblumen wachsen, bis nur mehr im unmittelbaren Einzugsbereich
der Heizungsdüse ein wenig freie Sicht bleibt. Man fährt dann mit
einem Tunnelblick, wie er normalerweise Leuten über 1,2 Promille zu eigen
ist. (Zum Glück wurde der Querverkehr nicht in Finnland erfunden.) In solchen
Situationen denkt man am besten an irgendetwas Unverbindliches, die Schönheit
eines Gummibaumes, beispielsweise, oder die humoresken Qualitäten
eines Gary-Larson-Cartoons, keinesfalls aber an PANNEN HIER UND JETZT.
Mit Gedanken, wie man sie nicht pflegen sollte, erreichten wir
doch Naruska, stellten das Auto kurz ab, mußten ein paar
Minuten später zum Starten den Choke hereinbitten, und bezogen
zu acht Quartier in einer wirklich herrschaftlichen 4-m2-Sauna
mit angeschlossenem, fein möbliertem 80-m2-Ruheraum.
III.
Ruhetage zeichnen sich vor allem durch Ruhelosigkeit aus. Um der
Feier zum 50. Geburtstag der Ente die nötige Kulisse zu verleihen,
wurde ein 2CV aus Eis gebaut (er steht bestimmt jetzt noch dort,
vielleicht wird ein zarter Frühling bald eine Dyane daraus
formen), dazwischen wurden immer wieder kleine Bewerbe abgehalten.
So wissen wir jetzt, warum wir lieber Fertignahrung kaufen, anstatt
sie mit dem Lasso zu fangen.
Auch zeichneten wir Bewerbe in den Schnee, die unseren Olympioniken
in Nagano zur gleichen Zeit nicht einfielen: Jeweils zwei Personen
pro Land strömten hintereinander auf Plastik-Firngleitern
einem Wendepunkt zu, wo ein seit dem Start mitgetragener Kübel
mit Wasser und einem Apfel ausgeleert werden mußte. Wasser
und ein Apfel stellten eine feine Mischung insofern dar, als Teilnehmer
mit einem Eisklumpen im Kübel sofort als langsame Schifahrer
punziert waren. Sloten und ich starteten für Österreich
(NUR für Österreich und kein bißchen für
uns, unsere Olympiateilnehmer machen das auch so), und nur aufgrund
einer Schiebung (der Schifahrer wurde von zufällig anwesenden
Fans geschoben) kam das holländische Team vor uns durchs
Ziel. Wir gewannen immerhin Radios in Gestalt einer Computermouse,
die wir, weil wir NUR FÜR ÖSTERREICH gestartet waren,
augeblicklich ans Bundeskanzleramt verschickten.
IV.
Unablässig aber pfeilte der Tag einen Höhepunkt zu:
Surströmming, der vom Vortag verschobene. Zweifelsohne ist
dieser Fisch eines natürlichen Todes gestorben, und weil
die Verwesung im hohen Norden gar so langsam einsetzt, wird er
in einer Zuckerlösung eingedost. (Für unsere Leser,
die gerade gegessen haben: Steigt besser nach drei Absätzen
wieder ein.)
Geöffnet werden die Dosen erst, wenn sie von Gärgasen
aufgebläht sind, wobei hermetisch abdichtende Kleidung dringend
angeraten wird. (Henkka, einer der Veranstalter, bevorzugt beispielsweise
einen Arbeitsanzug, Arbeitshandschuhe und einen aufgeschnittenen
Müllsack, den er sich überstülpt, und der ihm die
leichtfüßige Eleganz von Nanuk, dem Bären, verleiht.
Auch die Dose wird in einen Müllsack gesteckt, bevor das
Messer, das bestimmt nicht so enden wollte, den Deckel perforiert.)
Wir
ersparen uns jetzt weitere Details, nur soviel: Auch bei -30°C läßt
der Geruch die Augen tränen, und dann wird gegessen. Beweisfotos existieren
nicht, weil sich die Dämmerung gnädig auf die verzerrten Gesichter
senkt.
(Eine Theorie geht dahin, daß kein Schwede jemals Surströmming
gegessen hat. Wahrscheinlich verkaufen sie ihn nur an dumme Touristen
und gehen dann in den Wald lachen, wenn (und vor allem: wie) die
dann Gesichtszüge und -farbe wechseln. Henkka hingegen behauptet,
daß die Schweden diesen Fisch auch daheim verspeisen, auch
im Sommer, but they drink lots of alcohol before.
Dürfte sich also auch um eine Mutprobe handeln, wobei man
vielleicht an dieser Stelle anmerken sollte, daß nicht alle
Finnen alle Schweden vorbehaltlos lieben und umgekehrt.)
V.
Frage eines Raidteilnehmers an Henkka: Do you have any experiance
in starting a 2CV am -40 dagrees?" Jes, only
the worst!"
So kommt es dann auch, wer seine Batterie die letzten 36 Stunden
nicht im Warmen hatte, ist auf Starthilfe angewiesen und auf Starthilfekabel,
die nicht zum Knäuel gefroren sind. Motoröl ist zäh
wie Einbereichshonig SAE W40, Zündfunken sind rar und teuer,
und nach wenigen Startversuchen sind die Kerzen sowieso vereist.
Man legt sie dann am besten auf die Herdplatte, was aber nur möglich
ist, wenn der Gummiring des Kerzenschlüssels nicht zum Stein
gefroren ist.
Erwärmen des Werkzeuges auf der Herdplatte (bei gröberen
Reparaturen: Erwärmen des Werkzeugkoffers in der Sauna) wird
gerne genommen, nur sollte man kleinere Werkzeuge dann nicht in
den Schnee legen, falls man sie ohne Zuhilfenahme einer Schaufel
wiederfinden will.
Ans Schieben der Ente kann erst ab drei bis vier Personen gedacht
werden, weil auch das Fett in den Lagern sehr steif werden kann.
Was noch zu bedenken ist: Läuft der Motor, dann hat man noch
nicht zwingend gewonnen, weil manchmal das steife Öl den
Ölfilter platzen läßt. Bei den griechischen Enten
zerbrechen die Achsmanschetten wie Glas.
Mit 1,5 Stunden Startzeit (davon eine halbe Stunde am Abschleppseil)
liegt unsere Acadiane im Mittelfeld, die letzten Autos laufen
um halb drei nachmittags.
Am Abend wußten wir: Es gibt kostbare Momente, die man daheim
nie erleben wird und auch anderswo wahrscheinlich nimmer wieder.
Das sind Erinnerungen, die wir sorgfältig konservieren wollen
für eine Zeit, in der man im Cyberspace urlauben wird, mit
schlankem Handgepäck und gelangweiltem Blick.
VI.
Hetta liegt auch im Norden, nur westlicher. Die Gegend dazwischen
ist scheu und einsam mit ein paar Soll-Bremspunkten am Wegesrand:
Tankstellen nämlich sind Kommunikationszentren in finnischen
Dörfern. Es gibt dort einen Shop (Innenthermometer erkennt
man daran, daß ihre Skalen nur bis -10°C reichen),
ein paar Tische und Sessel zum Niedersinken, Kaffee und Tee, damit
man nachher wieder aufstehen kann. Ein Gutteil der Bevölkerung,
also zwei bis vier Menschen, sitzt immer dort. Sie nehmen ihre
Mützen nicht ab beim Hinsetzten, aber sie zeigen stilles,
fast scheues Interesse, wenn eine Gruppe Entenfahrer durch die
Tür quillt. Man kann ja nie wissen, wie sich jemand im Tankstellenespresso
benimmt, der tausende Kilometer fährt, um kollektiv zu frieren.
Unterwegs sind diese Espressos die feinste Möglichkeit zur
Erwärmung und um mit jemendem zu plaudern, der nicht aus
dem Bordfunk krächzt. Auch findet man dort Toiletten, die
man zwischen den Dörfern nicht findet, und die Dörfer
sind oft durch dreistellige Kilometerangaben getrennt. Das mit
den Bäumen vergessen wir lieber gleich wieder. Wir reden
schließlich vom lappländischen Winter, also einer Zeit
dicker Unterwäsche, klirrender Kälte und augenblicklich
einfrierender Finger, ist erst der Handschuh ausgezogen.
So viel zum Stoffwechsel, der nicht mehr vorkommen soll bis zum
Ende des Reiseberichts.
(Fortsetzung im nächsten Heft)
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