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Ausdruck vom 19.12.2024, 13:08 Uhr 

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Narizin: Raid Laponie 1998 (Teil 2)

Raid Laponie 1998 (Teil 2)

Wie wir die Sauna lieben lernten und vom Fisch ein bisserl weniger riechen mußten

I.

Was endlich alle wissen wollen, die noch nie bei einer Raid Laponie gefroren haben: Welchen Hauch von gütiger Wärme breitet die Luftkühlung der Ente über die Passagiere?

Vor zwei Jahren noch hatten wir die Entenheizung als die beste der Welt ins Blatt gerückt, so lange man der Ente eine Rundum-Isolierung anlegt. Als Entschuldigungsgrund läßt sich die Milde des skandinavischen Winters im Jahr 1996 anführen: Damals freuten wir uns über jede Temperatur, die einen Dreier an erster Stelle trug. Wir klatschten die minus 30 ein, sprangen auf zur Welle für minus 31, damit war das Heldentum heiter abgehakt.

Diesmal dürfen -30°C als Aufwärmübung für das Wetter durchgehen. Minus 35 sind plötzlich chronisch normal in Reichweite des Polarkreises, und damit das alles nicht einfach nur draußen vorüberzieht wie die Gewinne beim Lotto, planten wir einen Ruhetag in Naruska.

Naruska liegt direkt neben der russischen Grenze und erinnert nur zufällig ans Niemandsland, die Menschen dort sind von einer Heiterkeit, die nur als milde Form einer Manie (hervorgerufen durch chronische Verzweiflung) erklärt werden kann: Im Winter liegt dort der Kältepol Finnlands, und kaum ist der Schnee dahingeschmolzen, fallen die Mücken ein. Wir schätzten die Dauer des Sommers auf drei Tage, in schlechten Jahren auf einen Vormittag.

II.

Ich zog beim Autofahren an, was ich an wärmender Kleidung dabeihatte, wobei es mich stutzig werden ließ, daß Sloten diesmal NICHT ÜBER MEINE DAMART-UNTERWÄSCHE SPOTTETE (sondern heimlich auch seine anzog), meinen Schal unbeachtet ließ, diskret meine Fäustlinge übersah, während er über die Kompatibilität seiner molligen, finnischen Handschuhe mit dem Acadiane-Lenkrad referierte und aus seinem Haar eine Leningrad-Cowboy-Tolle formte, um die Heizluft direkt an die Stirn zu leiten. (Er, indes, behauptete, dies geschähe aus Gründen der Authentizität. Ich wollte mit einer eindeutigen Grimasse kontern, was aufgrund geschätzter 12,3°C Gesichtstemperatur mißlang.)

Dermaßen isoliert überfuhren wir den Polarkreis, der praktisch nicht wahrzunehmen war, weil eine alte Raid-Laponie Tradition, ein olfaktorisch, sagen wir, interssanter Stop, entscheidend weichgezeichnet durch eine Speise, die veranstalterseits mit „famous appetizer” zart umschrieben wurde, weil dieser Stop als Gesamtkunstwerk auf den nächsten Tag verschoben wurde.

Einstweilen pflegten wir ja andere Beschäftigungen, die uns daheim wieder niemand glauben würde: Wir beobachteten das Thermometer. Es liebte soeben den direkten Weg. Es zeigte Ziffern, die wir nie zuvor mit einem Minus in Verbindung gebracht hätten. (Es schon). Es durchlief die Instanz der Zahlenreihe mit einem Eifer, den wir alleine von Jacques Tati in der Rolle des Briefträgers kennen.

Das letzte, was wir sahen, waren -38°C. Dann wurde es finster, was den Vorteil hatte, daß wir nicht ständig auf die Skala starren mußten. Und den Nachteil, daß sich die Kälte noch mannhafter erhob: Der Tiefstand war bei -44°C ausgependelt, derweilen war der Weg auf die Breite einer Nebenfahrbahn und die Unerbittlichkeit einer Sackgasse geschrumpft, und auch die Entenheizung war irgendwie schlecht aufgelegt: Minus acht Grad im Auto lassen sich mit einem Urlaub in der Tiefkühltruhe annähernd übersetzen. Auch frieren zuerst die Seitenscheiben vollends zu, dann läßt sich die Frontscheibe zarte Eisblumen wachsen, bis nur mehr im unmittelbaren Einzugsbereich der Heizungsdüse ein wenig freie Sicht bleibt. Man fährt dann mit einem Tunnelblick, wie er normalerweise Leuten über 1,2 Promille zu eigen ist. (Zum Glück wurde der Querverkehr nicht in Finnland erfunden.) In solchen Situationen denkt man am besten an irgendetwas Unverbindliches, die Schönheit eines Gummibaumes, beispielsweise, oder die humoresken Qualitäten

eines Gary-Larson-Cartoons, keinesfalls aber an PANNEN HIER UND JETZT.

Mit Gedanken, wie man sie nicht pflegen sollte, erreichten wir doch Naruska, stellten das Auto kurz ab, mußten ein paar Minuten später zum Starten den Choke hereinbitten, und bezogen zu acht Quartier in einer wirklich herrschaftlichen 4-m2-Sauna mit angeschlossenem, fein möbliertem 80-m2-Ruheraum.

III.

Ruhetage zeichnen sich vor allem durch Ruhelosigkeit aus. Um der Feier zum 50. Geburtstag der Ente die nötige Kulisse zu verleihen, wurde ein 2CV aus Eis gebaut (er steht bestimmt jetzt noch dort, vielleicht wird ein zarter Frühling bald eine Dyane daraus formen), dazwischen wurden immer wieder kleine Bewerbe abgehalten. So wissen wir jetzt, warum wir lieber Fertignahrung kaufen, anstatt sie mit dem Lasso zu fangen.

Auch zeichneten wir Bewerbe in den Schnee, die unseren Olympioniken in Nagano zur gleichen Zeit nicht einfielen: Jeweils zwei Personen pro Land strömten hintereinander auf Plastik-Firngleitern einem Wendepunkt zu, wo ein seit dem Start mitgetragener Kübel mit Wasser und einem Apfel ausgeleert werden mußte. Wasser und ein Apfel stellten eine feine Mischung insofern dar, als Teilnehmer mit einem Eisklumpen im Kübel sofort als langsame Schifahrer punziert waren. Sloten und ich starteten für Österreich (NUR für Österreich und kein bißchen für uns, unsere Olympiateilnehmer machen das auch so), und nur aufgrund einer Schiebung (der Schifahrer wurde von zufällig anwesenden Fans geschoben) kam das holländische Team vor uns durchs Ziel. Wir gewannen immerhin Radios in Gestalt einer Computermouse, die wir, weil wir NUR FÜR ÖSTERREICH gestartet waren, augeblicklich ans Bundeskanzleramt verschickten.

IV.

Unablässig aber pfeilte der Tag einen Höhepunkt zu: Surströmming, der vom Vortag verschobene. Zweifelsohne ist dieser Fisch eines natürlichen Todes gestorben, und weil die Verwesung im hohen Norden gar so langsam einsetzt, wird er in einer Zuckerlösung eingedost. (Für unsere Leser, die gerade gegessen haben: Steigt besser nach drei Absätzen wieder ein.)

Geöffnet werden die Dosen erst, wenn sie von Gärgasen aufgebläht sind, wobei hermetisch abdichtende Kleidung dringend angeraten wird. (Henkka, einer der Veranstalter, bevorzugt beispielsweise einen Arbeitsanzug, Arbeitshandschuhe und einen aufgeschnittenen Müllsack, den er sich überstülpt, und der ihm die leichtfüßige Eleganz von Nanuk, dem Bären, verleiht. Auch die Dose wird in einen Müllsack gesteckt, bevor das Messer, das bestimmt nicht so enden wollte, den Deckel perforiert.)

Wir ersparen uns jetzt weitere Details, nur soviel: Auch bei -30°C läßt der Geruch die Augen tränen, und dann wird gegessen. Beweisfotos existieren nicht, weil sich die Dämmerung gnädig auf die verzerrten Gesichter senkt.

(Eine Theorie geht dahin, daß kein Schwede jemals Surströmming gegessen hat. Wahrscheinlich verkaufen sie ihn nur an dumme Touristen und gehen dann in den Wald lachen, wenn (und vor allem: wie) die dann Gesichtszüge und -farbe wechseln. Henkka hingegen behauptet, daß die Schweden diesen Fisch auch daheim verspeisen, auch im Sommer, „but they drink lots of alcohol before.“ Dürfte sich also auch um eine Mutprobe handeln, wobei man vielleicht an dieser Stelle anmerken sollte, daß nicht alle Finnen alle Schweden vorbehaltlos lieben und umgekehrt.)

V.

Frage eines Raidteilnehmers an Henkka: „Do you have any experiance in starting a 2CV am -40 dagrees?" – „Jes, only the worst!"

So kommt es dann auch, wer seine Batterie die letzten 36 Stunden nicht im Warmen hatte, ist auf Starthilfe angewiesen und auf Starthilfekabel, die nicht zum Knäuel gefroren sind. Motoröl ist zäh wie Einbereichshonig SAE W40, Zündfunken sind rar und teuer, und nach wenigen Startversuchen sind die Kerzen sowieso vereist. Man legt sie dann am besten auf die Herdplatte, was aber nur möglich ist, wenn der Gummiring des Kerzenschlüssels nicht zum Stein gefroren ist.

Erwärmen des Werkzeuges auf der Herdplatte (bei gröberen Reparaturen: Erwärmen des Werkzeugkoffers in der Sauna) wird gerne genommen, nur sollte man kleinere Werkzeuge dann nicht in den Schnee legen, falls man sie ohne Zuhilfenahme einer Schaufel wiederfinden will.

Ans Schieben der Ente kann erst ab drei bis vier Personen gedacht werden, weil auch das Fett in den Lagern sehr steif werden kann.

Was noch zu bedenken ist: Läuft der Motor, dann hat man noch nicht zwingend gewonnen, weil manchmal das steife Öl den Ölfilter platzen läßt. Bei den griechischen Enten zerbrechen die Achsmanschetten wie Glas.

Mit 1,5 Stunden Startzeit (davon eine halbe Stunde am Abschleppseil) liegt unsere Acadiane im Mittelfeld, die letzten Autos laufen um halb drei nachmittags.

Am Abend wußten wir: Es gibt kostbare Momente, die man daheim nie erleben wird und auch anderswo wahrscheinlich nimmer wieder. Das sind Erinnerungen, die wir sorgfältig konservieren wollen für eine Zeit, in der man im Cyberspace urlauben wird, mit schlankem Handgepäck und gelangweiltem Blick.

VI.

Hetta liegt auch im Norden, nur westlicher. Die Gegend dazwischen ist scheu und einsam mit ein paar Soll-Bremspunkten am Wegesrand: Tankstellen nämlich sind Kommunikationszentren in finnischen Dörfern. Es gibt dort einen Shop (Innenthermometer erkennt man daran, daß ihre Skalen nur bis -10°C reichen), ein paar Tische und Sessel zum Niedersinken, Kaffee und Tee, damit man nachher wieder aufstehen kann. Ein Gutteil der Bevölkerung, also zwei bis vier Menschen, sitzt immer dort. Sie nehmen ihre Mützen nicht ab beim Hinsetzten, aber sie zeigen stilles, fast scheues Interesse, wenn eine Gruppe Entenfahrer durch die Tür quillt. Man kann ja nie wissen, wie sich jemand im Tankstellenespresso benimmt, der tausende Kilometer fährt, um kollektiv zu frieren. Unterwegs sind diese Espressos die feinste Möglichkeit zur Erwärmung und um mit jemendem zu plaudern, der nicht aus dem Bordfunk krächzt. Auch findet man dort Toiletten, die man zwischen den Dörfern nicht findet, und die Dörfer sind oft durch dreistellige Kilometerangaben getrennt. Das mit den Bäumen vergessen wir lieber gleich wieder. Wir reden schließlich vom lappländischen Winter, also einer Zeit dicker Unterwäsche, klirrender Kälte und augenblicklich einfrierender Finger, ist erst der Handschuh ausgezogen.

So viel zum Stoffwechsel, der nicht mehr vorkommen soll bis zum Ende des Reiseberichts.

(Fortsetzung im nächsten Heft)

 
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Stand: 15.03.2013
Copyright: Hannes Hromadka

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