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Weil wir die dreiviertel Stunde Wartezeit bis zu jener Fähre, die wir bestimmt nimmer erreichten, irgendwie überbrücken mußten, hielten wir diese Scherze behutsam warm.
Der einzige erwachsene Ort auf Mageroya heißt Honningsvag und liegt im Süden der Insel, damit die Einheimischen nicht so weit fahren müssen, wenn sie begehrlichen Blickes nach Süden starren möchten. Meistens bleibt es freilich beim Starren. Auf der Nordkapp-Insel schaut die Hälfte der Leute sehr ähnlich aus, fast wie eine Familie, ist man versucht zu sagen. Wir jedoch hatten in der 40-kilometrigen Fahrstrecke zum Hotel eine durchaus abendfüllende Beschäftigung gefunden. Zuerst war die Straße gesperrt, weil der nicht auskühlende Schneepflug nur zu gewissen Zeiten fährt, dann war die Straße ziemlich steil und ziemlich vereist, weshalb sich einige Enten vom Pflug ziehen ließen. Wir hingegen kamen mit Schieben und Reinspringen während der Fahrt gerade noch durch und wissen bis heute nicht, wieso.
Noch 11 Kilometer bis zum Nordkapp, genug für eine fröhliche Tagesetappe. Der Hotelbesitzer nahm gerne unser Geld und räumte die Straße, die ja winters offiziell gesperrt ist und schneeverweht obendrein. Ausreichend schräg, dort raufzufahren, sind offensichtlich nur Entenfahrer, noch verrückter war ein finnischer Motorradfahrer (Fell auf der Sitzbank und im Gesicht, Schlafsack und Töpfe am Gepäcksträger, Spikes in den Reifen), der sich plötzlich und ursprungslos in den Konvoi mischte. Das Nordkapp ist im Winter von trunkener Schönheit. Die Sonne rollt den Horizont entlang und taucht die verschneiten Hügel in tiefes Orange, die Touristenzentren und -kassen winterschlafen, und das langatmige Plätschern des Meeres mischt sich aufs anmutigste mit dem einsamen Wind. Wer jetzt herkommt, gilt eigentlich nicht als Tourist, sondern als stiller Gast. Auch wenn er hemmungslos fotografiert, was dort oben sonst nur zu wärmeren Zeiten passiert.
Im Winter hingegen: Hintergrund anplugged, sogar die Gebäude am Kapp tragen ein Mimikry-Schneehauberl. Puristischer wird niemand dieses Fleckerl erleben, und keiner wird stiller die Rückreise antreten.
Derlei Ereignisse verlangen nach angemessenen Feierlichkeiten. Zudem war der Zeitpunkt gerade günstig, uns Teilnehmer zu Superfinns zu adeln, weshalb die Urkunden gedruckt und der ebenso berühmte wie unberechenbare Enough-Drink angedroht wurde. Es handelt sich hierbei um das einzige Getränk weltweit, das stets gleich heißt, aber immer anders schmeckt. Heuer: nach Hustensaft und Tannenbäumen, also eher in die Kräuterpfarrerweidinger-Richtung weisend, obwohl dich auch das biologisch-schulterklopfende Aroma am Blutzer treffen kann wie eine frisch gefällte Silbertanne. Roland erklärte den Teilnehmern anhand praktischer Beispiele, wie man sich den Spitznamen "Gröhli" erwirbt. Arne "Apropos brechen, wann gibt´s endlich Enough-Drink?" Komposch fiel schon vor der Zeremonie mit dem Sessel um. Ich ging zeitig schlafen, so um zwei. Schon um halb sechs morgens stand Sloten im Zimmer, vielleicht ein wenig schief, und lachte. Nicht unbedingt laut, so daß sie in den Zimmern daneben ernstlich über die Höhe des Trinkgeldes an den Zimmervermieter nachdachten, aber ohne Unterlaß. Ich lachte zuerst ein bisserl mit, man muß ja nicht unbedingt granteln, nur weil man ein wenig aus dem Schlaf geprustet wird. Schon nach fünf Minuten hatte ich mich beruhigt, gegen dreiviertel sechs einigten wir uns auf unbegründete Heiterkeitsausbrüche slotenamts, was das Zimmer auch nicht leiser werden ließ. Irgendwann schlief ich wieder ein. Ich war zu müde zum Zuhören.
Es ist an der Zeit, das durchschnittliche Fahren an gewöhnlichen Tagen ins Blatt zu rücken: Sloten lenkte und funkte, ich verlor sein Feuerzeug und reichte den Grapefruitsaft, vergaß aber regelmäßig, das Fruchtfleisch aus dem Schlaf zu schütteln. Bisweilen schlief auch ich ein wenig, unterzog meine Fäustlinge einem ausgiebigen Kopfpolster-Test und war stets bemüht, mit heiteren Worten zu erwachen, etwa: "Ich hab Hunger, ich hab Durst, ich muß lulu, simma bald da?". (Kleine Empfehlung: Schaffell-Fäustlinge vom C&A federn den Bluzer ausreichend kuschelig gegen die B-Säule ab.) Am Tag nach der Superfinn-Zeremonie hingegen purzelten die Rollen durcheinander: Ich drehte am Lenkrad, während Sloten mit langsamen Bewegungen den Saft reichte und das Fruchtfleisch ruhen ließ. Auch schlief er selbst bisweilen ein, wenn er nicht gerade mit letzter Energie das Lenkrad urgierte oder über Funk über Meuterei klagte. Immerhin fuhr er die letzte Etappe des Tages selbst: Von der Rezeption zur Hütte, 50 Meter am direkten Weg.
Gü ist, was man nicht verschwiegen kann, mittlerweile Superfinn3. Dies hat freilich Auswirkungen auf sein Befinden allgemein und auf sein Temperaturempfinden im besonderen: Er spürt die Kälte nimmer. Daheim erzählt er von zweistelligen Minusgraden, die sich im Hemd (Modell kanadischer Holzfäller) ertragen lassen, in Skandinavien trägt er dann zwar einen Schioverall, aber er friert tatsächlich nie. Damit er dennoch nicht als perfekter Reisender in die Geschichte unseres Clubs eingeht, bemüht er sich ständig, Gegenstände zu verlieren: Zuerst verschwand schon auf der Fähre der Reisepaß in der Jackentasche, aber nur kurz, die Tickets versteckten sich in loser Reihenfolge und tauchten ebenso unerwartet wie erhofft wieder auf. Das Etui des Video-Akkus lag morgens mitten auf dem Bett und wurde von einem Mitreisenden zweifelsfrei erkannt, die Taschenlampe versteckte Gü unter dem Kopfpolster vor sich selbst. Heute leuchtet vielleicht ein finnischer Hotelbesitzer damit. Wieder gefunden wurden hingegen die Handschuhe: Einer lag nach kurzer Fahrt noch immer auf dem Autodach, der zweite schon auf der Straße, wo er identifiziert, nicht jedoch überfahren wurde. Allein die Stiefel, die wir unter dem Bett der Fähre aufgriffen, hatte schon vorher jemand vergessen. (Sie fanden, obwohl leicht verhärmt, nach dem Heimkommen in Windeseile einen neuen Besitzer vor einem Mistkübel Favoritens.)
Am Weg Richtung Süden, direkt am Polarkreis, liegt in Rovaniemi das Weihnachtsmann-Einkaufszentrum. Es wächst, was sich freilich niemand vorstellen kann, schneller als die Shopping City Süd und dient dem fachgerechten Anzapfen touristischer Reisebudgets. Und diese kaufen noch mehr, wenn die Reise zu Ende geht und die Verabschiedung der anderen Reiseteilnehmer genauso traurig war, wie sie bei der nettesten Reisegruppe überhaupt nur sein kann.
Peinliche Kaufbilanz diesmal: eine Weihnachtsmann-Mütze mit blinkendem Quastel, ein finnischer Topflappen mit Polarkreis-Stickerei, ein hölzerner Bieröffner mit original Elch-Gravur, zwei (man weiß ja nie, wie hart die Butter eines Tages wird) skandinavische Buttermesser aus feinem Holz, ein Elch-Sticker, ein ziemlich originelles, wenngleich touristisches T-Shirt sowie der herzigste Stoff-Hammel überhaupt.
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