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Raid Laponie 2000 (Teil 3)
Mit Erinnerung ist zu rechnen
Aber erwartet jetzt keine Startprobleme oder wohlschmeckende Enough-Drinks
Ordnung ist das halbe Leben, sagt man (die andere Hälfte ist wahrscheinlich
Warten, aber lassen wir das jetzt), und damit unser schüchterner Auftritt
auf den Lofoten auch seine Ordnung hat, rollen wir die Inselgruppe von Süden
her auf. Da kommt es sehr gelegen, dass der Fährhafen ohnehin im Süden
liegt, weil da haben wir nicht mehr so weit zu fahren, bevor wir mit dem Fahren
beginnen. Zuerst aber beziehen wir unsere Fischerhütten, vor lauter Freude
über die vielen Touristen eröffnet der Besitzer noch eine dritte,
zusätzliche Hütte, ohne sie zu verrechnen. Er ist beim Vermieten offensichtlich
ebenso ungeübt wie wir beim Zimmerbeziehen. (Anm. d. Drivers: So ganz
ungeübt war das aber nicht: In Anbetracht des großzügigen Zimmerangebotes
wurde sofort ein "Emergency-Room״ eingerichtet, für zwischenmenschliche
Notfälle sozusagen...)
Der Ort heißt Å, was zwar nicht der schönste Ortsname der
Welt ist, aber einer der kürzesten. Im Winter zeichnet er sich dadurch
aus, dass das Ortsschild seltener gestohlen wird.
Beeindruckend an den Lofoten ist vor allem diese wunderbare Beschleunigung
der Erhebungen: Die Berge ragen aus dem Meer, als stünde den Alpen das
Wasser bis zum Hals, dazwischen sind ein paar Flächen drapiert, die annähernd
waagrecht angelegt sind und die wenigen Häuser tragen. Die spärlichen
Anzeichen des Sommertourismus wirken irgendwie drollig in ihrer Schläfrigkeit,
viel mehr als ein paar Wegweiser sind’s eh nicht. Wer sich hier ansiedelt, ist
der restlichen Welt für immer entglitten.
Man würde theoretisch auch hier niemandem auffallen, weil kaum wer da
ist. Einheimische sind selten zu sehen, weil es praktisch keine gibt. Die Jungen
suchen Beruf und Leben am Festland, die Alten bleiben zurück und auch die
Bauarbeiter. Denn um die Menschen auf den einsamen Inseln zu halten, investiert
Norwegen in Tunnel- und Brückenbauten. So erspart man sich die Fährfahrten,
was keine schlechte Idee ist und ein paar mehrgängigen Essen den Retourgang
ersparen kann, wie wir jetzt wissen.
Langsam tasten wir uns Richtung Norden, sehen bizarre, zu Eis erstarrte Wasserfälle,
verschlafene Dörfer im Schneefall, einen heftig ausgestorbenen Strand,
wo im Sommer gerüchteweise ein paar Menschen das Baden probieren, wahrscheinlich
mit Chinaöl und Aspirin im Anschlag. Wir sehen auch Unmengen von Trockenfisch
auf riesigen Holzgestellen herumhängen, kaufen aber keinen davon, weil
niemand zum Verkaufen anwesend ist und wir sowieso nicht wissen, wie man ihn
zubereitet. Erste Mutmaßungen gehen dahin, dass man daraus die nordische
Version des Faschierten zubereitet, Fischiertes genannt. (Einige Tage später
klärt mich Jutta über die Inbetriebnahme des Trockenfisches auf: Er
wird mehrere Tage in Wasser eingelegt, wobei das Wasser mehrmals gewechselt
werden muss. Langsam nimmt der Fisch die Flüssigkeit wieder auf und erreicht
sowas wie seine ursprüngliche Konsistenz, man muss dann wahrscheinlich
den exakt richtigen Zeitpunkt erwischen, bevor er aus eigener Kraft abpascht.)
*
Zwei Tage später holen wir die übrigen Raid-Teilnehmer ein, die einstweilen
in einer Herberge in Melbu residiert haben. Deren Besitzer ist kein Freund der
Gitarrenmusik und auch kein Freund wacher Menschen nach Mitternacht, was die
vorige Nacht ins Ambiente längst vergangener Schikurs-Verbote getaucht
hat. Und jetzt der Pizzaria zu ungeahntem Geschäftsgang verhilft: Nicht
nur, weil mehrere Ententreiber dort sitzen, sondern auch, weil das Essen so
teuer ist. Das kommt daher, dass in Norwegen eigentlich alles sehr teuer und
ein Lokalwechsel also sinnlos ist, wird aber aufgelockert durch die Erkenntnis,
dass man auch im Norden der südlichen Kochkunst durchaus kundig ist.
*
Dennoch richten wir die Enten wieder Richtung Finnland, gewinnen Narvik und
steuern Kiruna zu. Die Gegend nach Narvik tut so, als wäre sie eine andere
Welt, dabei ist sie ein anderer Planet: Entrückte Steinformen bis an den
Horizont, völlig naturbelassen und daher von wunderbarer Unordnung, dazu
wird der Schnee vom Wind in die Waagrechte aufgewurlt. Bis Mitte der 80er Jahre
gab es hier keine Straße, sondern nur eine Bahnlinie, die auch die Autos
jener transportierte, die unbedingt nach Kiruna wollten. Hätte man beim
Straßenbau die signalfarbenen Schneestangen vergessen, dann wäre
die Fahrbahn bereits mehrmals verloren gegangen.
In Kiruna passiert abermals, wonach alle dürsten: Ein Drivers Meeting
wird angesetzt, beginnt aber vorerst nicht. Exakt denkende Teilnehmer füllen
die Wartezeit mit einem kleinen Dialog mit dem Veranstalter:
Gerhard: "With how many % of participants du you start a drivers meeting???״
Jukka: "Gerhard, I see, you are an engineer, you always ask for percent.
We start when we feel it’s the right moment. ... But especially for you:
We start with exactly 78.2% - or with 59.7%, if the Austrians are not here.״
Das Thema ist somit fertigbesprochen bis ans Ende der Raid.
*
Eine Raid ohne Aufenthalt in Hetta wäre inkomplett, das wissen alle. Daher
steuern wir auch diesmal wieder den nordwestlichen Zipfel Finnlands an, wo es
sich der rührige Hotelbesitzer nicht nehmen lässt, eine Begrüßungsrede
in Broken English zu halten. Er wird daraufhin am nächsten Tag zum Superfinn
ernannt werden (incl. Enough-Drink) - was er noch nicht im mindesten ahnt.
Nach der Begrüßung wenden wir uns dem Essen zu, welches in Lappland
traditionell durch hohen Brennwert gefällt, das gehört so, das muss
so sein, danach sperren wir uns nach der Sauna nicht versehentlich in
den Hof, das ist relativ neu.
Weil die Ski-Doo’s erstmals teuer geliehen werden wollen, greifen Jutta, Karsten
und ich am nächsten Tag zu Langlauf-Schi, lassen uns von der Vermieterin
den Weg zur Loipe weisen und verirren uns sofort hinter dem Hotel. Nein, nicht
nur einmal.
Damit der Auslauf dennoch nicht zu kurz kommt, rutschen wir runter zur Hauptstraße,
überqueren sie geschmeidig und gleiten auf den gefrorenen See, wo unsere
eleganten Bewegungen den Bürgermeister animieren, den Loipen-Ratrac unverzüglich
loszuschicken. Wir folgen ihm über den See, tauchen am anderen Ufer in
den Wald und folgen der Loipe auf den Pyhäkero. Ohne es zu merken stemmen
wir dabei rund 500 Höhenmeter nieder und werden knapp vor dem Gipfel in
voller Fahrt von einem finnischen Entenfahrer in noch vollerer Fahrt überholt.
Oben wartet eine Schutzhütte, die prinzipiell unbewirtschaftet ist, außer,
man bewirtschaftet sie selber. Als einziges Getränk kann man sich Löskaffee
servieren, nachdem man Schnee zu Wasser zerkocht hat, sich damit vor die Hütte
setzten und die Eindrücke konservieren für die Wochen daheim am Schreibtisch,
der nicht ober oder unter der Baumgrenze steht, sondern irgendwie daneben.
So schaut Wintertorismus aus, der noch nie von Hektik gerammt oder von Schirestaurants
mit blökenden Touristen entstellt wurde und daher mit zwei Spuren im Schnee
auskommt und mit Sonne, orangem Licht und einer raren Stille, wie sie bei uns
längst ausgestorben ist.
Dermaßen gestärkt rutschen wir auffallend flink ins Tal, ohne uns
vom Ratrac planieren zu lassen. Karsten fährt etwas zu schnell, weshalb
es ihn aufprackt.
*
Ergänzung d. Drivers: Der Grossteil der Gruppe hat doch bei der Motorschlitten-Tour
mitgemacht, was veranstaltungtechnisch nicht unproblematisch, aber unterm Strich
dafür umso schöner war.
Auch für die finnischen Organisationstalente ist es nicht ganz einfach
über Nacht ca. 35 Motorschlitten aufzutreiben, was aber dann doch irgendwie
gelungen ist. Sie schafften es auch, das Problem zu lösen, dass es 1. Ein-
und Zweisitzer gab und 2. diese verschieden zugelassen waren (mit Führer
im freien Gelände / ohne Führer auf vorgegebenen Tracks) und natürlich
zu unterschiedlichen Preisen. Natürlich waren die verfügbaren Varianten
mit den Bestellen nicht identisch, was für einige Verzögerung gesorgt
hat, bis sich endlich ein grosser Konvoi in Bewegung setzte.
Unkundige sollten den Tiefschnee meiden - das wurde uns von unserem einheimischen
Führer immer wieder eingetrichtert. - Und trotzdem wurden ständig
Motorschlitten ausgegraben -
Später als geplant, aber doch noch, haben wir unser Tagesziel erreicht:
den Termisvaara, einen Gipfel an der finnisch-norwegischen Grenze, der aber
ebenso am Mond hätte sein können! Ein paar hundert Meter über
der leicht hügeligen Landschaft, bizarre Schneewächten, baumloses
Weiss soweit das Auge reicht, darüber zartblauer Himmel mit tiefstehender
Sonne, knapp über dem Horizont. Es war schon gut, einen ortskundigen Führer
dabei zu haben - unsere Spuren waren in Minuten wieder zugeweht und Landkarten
haben in dieser kargen Landschaft ohne Orientierungspunkte auch nur mehr einen
beschränkten Nutzen.
*
Wir kommen an dieser Stelle nicht umhin, die volle Dramatik des Wetters zu
gestehen: Die Finnen weigern sich erstmals, den Wetterbericht zu übersetzen,
manche erklären uns, dass in Hetta schon -50°C gemessen wurden, aber nicht
jetzt. Die Tiefsttemperatur der Raid pendelt sich bei -12,4°C ein, was rufschädigend
ist - aber zu dem seltenen Ereignis führt, dass die Ski-Doo-Fahrer heuer
erstmals nicht per Raute-Griff geborgen und wie Playmobil-Männchen in der
Sauna aufgestellt werden müssen, sondern aus eigener Kraft dorthin finden.
Der Flüssigkeitsverlust vom Saunieren ist es, der abends wieder ausgeglichen
werden will. Da kommt es sehr zupass, dass praktisch der Höhepunkt der
Reise anklopft, die Ernennung zu Superfinns. Diese Ehre wäre leicht wegzustecken,
wäre nicht das Nippen an einem Getränk damit verbunden, welches nicht
ganz grundlos in der Liste verbotener Chemikalien als Enough-Drink geführt
wird, sich allerdings der Geschmackspolizei durch ständig wechslende Ingredienzien
entzieht: Dies Saft besteht aus alkoholischen Getränken, welche von den
Teilnehmern beigesteuert und am Herd von den Veranstaltern abgemischt werden.
Er gereicht nicht allerorten zur Freude.
Kaum habe ich mich mit dem Geschmack halbwegs arrangiert, beisse ich auf ein
xxxxxxxx-Körnchen (was war das, Gerhard???) (Anm. d. Drivers: habe auch
keine Ahnung, auf jeden Fall nichts, was man in einem alkoholischen Getränk
vermuten würde!) und muss pausieren. Sabine hingegen zerkaut den xxxxxxxx
mit Absicht, um den Geschmack des Getränkes auszublenden.
Freilich aber gebe ich mich nicht dem Suff hin, sondern halte meine schützende
Hand über meinen Fahrer, der, vom selbstlosen Einsatz des Abends dezent
gezeichnet, beispielsweise eine leere Likörflasche auf der vorgeschobenen
Oberlippe angesaugt hält. Um vor Erlangen der absoluten Perfektion in dieser
Disziplin nicht unnötig aufzufallen, hält er besorgte Zuschauer mit
subtilen Zurufen ("Wos schaust’n sooo???״) auf Distanz, wenn er nicht
gerade seine Superfinn-Urkunde in einer Pose vor Kameras hält, die einst
in "Daktari״-Filmen eine nicht unwesentliche Rolle einnahm. Dies
gelingt eindrucksvoll und kann schon wenige Wochen später in allen finnischen
2CV-Zeitungen bewundert werden. (Anm. d. Drivers: in Wirklichkeit war alles
ganz anders: Ich habe lediglich eine anspornende Handbewegung gemacht, doch
endlich den Auslöser meiner Kamera zu betätigen! Und die Likörflasche
hat ER heimlich geleert!)
Damit an jenem Abend die feingeistige Bildung nicht zu kurz kommt, gehen Karsten
und ich daran, die finnische Sprache zu erweitern und abzurunden. Wem’s bis
jetzt entgangen ist: Im Finnischen strudelt man sich nicht nur mit vier Fällen
ab, sondern mit 12, wenn ich alles richtig verstanden habe, wobei manche kaum
benützt werden, andere aber doch und die kaum benützten eigentlich
auch ein wenig. Wir wählen also willkürlich ein Wort, beispielsweise
Mustamakkara, wie der Finne die Blutwurst (vulgo
Blunzn) ruft, und fügen die Fälle 13 bis 27 hinzu, welche seltsamerweise
nicht einmal von Finnen verstanden werden.
Kurzer Auszug mit korrekter Auflösung:
Adhäsivi: Mustamakkarpick
(mehrere Blutwürste kleben aneinander oder im Papier)
Aggressivi: Mustamassaker (Blutwurst
zerplatzt)
Vomitativi: Mustamaspeitrara (ich
muss von verdorbener Blutwurst speiben, Motto: Vorbeugen ist besser
als auf die Schuhe kotzen)
Ökonomief: Mustagobertmakkaragobert
(ich habe preiswerte, abgelaufene Blutwurst erstanden; in Österreich
auch: Mustahofermakkarofer)
Knauserativi: Mustamakkarafingaweg
(ich borge keine gebrauchte Blutwurst her)
Nach derartig bahnbrechenden Entdeckungen kann man einfach nur schlafen gehen,
zumindest ich. Kein großer Freund der Nachtruhe ist hingegen der Hotelbesitzer,
was er durch beharrliches Nichtschlafengehen bis halb fünf in der Früh
beweist.
*
Eine alte Superfinn-Regel besagt: Je weiter südlich der Konvoi, desto
näher das Ende der Raid. Damit wir nicht zu schnell im Süden ankommen,
halten wir Ausschau nach skurrilen Autobussen und werden schon eine Stunde außerhalb
Hettas fündig: Am Straßenrand steht ein Transportmittel, dessen Karosserie
einem Bastelkeller entwischt sein dürfte. Daneben stehen ein paar Entenfahrer
und der Besitzer, welcher eine Lesung aus dem Bombardier-Rotax-Prospekt von
1959 hält. Aus jenem Jahr stammt sein Bus mit V8-Heckmotor, Raupenantrieb
und Kufen vorne. Es handelt sich praktisch um einen Ski-Doo für acht Personen,
dieses Exemplar war jahrelang im kommunalen Einsatz unterwegs, bevor es ins
Meer fiel, dort ein paar Monate verweilte und anschließend restauriert
wurde, zumindest halbwegs. Um uns von der Wintertauglichkeit zu überzeugen,
drapiert uns der Besitzer auf den Rücksitzen und legt eine Runde ins Geläuf,
wogegen sich Lenkung und unsynchronisiertes Getriebe ebenso heftig wie erfolglos
wehren.
*
Helsinki, es hilft nix. Nach vielen Abschieden steuern wir den Fährhafen
an und setzen uns in den Speisesaal jener Fähre, in der das Buffet reichlich
bestückt und im Fährpreis inbegriffen ist. Die Stimmung kippt ins
Traurige, erschwerend kommt hinzu, dass (im Gegensatz zur 98er-Heimreise) auf
der Kapitänsbrücke keine Kaffeefilter der Marke "Bruno״
mehr verwendet werden, auch sind weit und breit keine Mumin-Kekse zu sehen.
Möglicherweise hat der Reeder nach dem Auffinden einer Mumin-Zehe Brösel-Verbot
erlassen.
Gü versucht nach dem Essen, seinen Benzinverbrauch auszurechnen, schläft
dabei aber sechs mal ein. Gerhard rechnet seinen Spritkonsum lieber nicht aus,
weil er die einzige Ente weltweit besitzt, die kaum unter 9 l/100 km
zufriedenzustellen ist. (Wer darüber ein paar Witze hören mag, frage
nicht uns, sondern die anderen Mitreisenden). (Anm. d. Drivers: Ich sag’
jetzt gar nichts dazu und verweise nur auf die erste Zeichnung im ersten Teil
dieses Berichts, wo ein kleiner Teil des Gepäcks meines Co-Drivers zu erkennen
ist…)
Ich versuche, mich mit einem Max Goldt-Buch ("Ä״, immerhin
erinnert der Titel an bessere Zeiten) aufzurichten, was, obwohl er doch einer
der Allerbesten ist, nur teilweise gelingt. Noch schlimmer ist offensichtlich
der Barkeeper beinander, welcher um 00:45 Uhr seine wenigen Gäste mit "Oh
Tannenbaum״ von Freddy Quinn erfrischt.
Beschließe dennoch, jetzt schlafen zu gehen.
*
Jetzt aber Schluß!
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