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Die 24 Stunden von Spa
Wahnsinn muß laufen
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Text:Martin
Strubreiter
Fotos: Aleksandra Pawloff
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Und
schlafen will eh niemand: Tempo 180 im 2CV, 24 Stunden lang, und der Regen gehört
irgendwie auch dazu
Normalerweise beginnt der Regen in Spa plötzlich und hört
dann wieder auf. Das mit dem plötzlichen Anfangen funktioniert auch diesmal
gut, nur aufs Aufhören werden heute alle vergeblich warten, besonders die
Fahrer mit ihren dürren Scheibenwischern und den Wasserpfützen am
Bodenblech, weil wirklich dicht ist auch eine Rennente nicht.
Sie rammt nur schneller die Tropfen.
Zuerst aber fahren die Teilnehmer des benachbarten 2CV-Treffens
eine Ehrenrunde, die weniger durch Schnelligkeit, als durch kreativen Einsatz
der Hupen besticht.
Punkt 16:00 Uhr sind die Rennenten dran. Der Pulk startet vor Eau
Rouge, saugt sich die Steigung rauf, die ersten Überholmanöver mischen
das Feld der 99 Starter durch, obwohl alle wissen, daß man ein 24-Stunden-Rennen
NICHT in der ersten Kurve gewinnt, es klingt ein bisserl wie eine Formation
von Sportflugzeugen in einem Taubenschwarm, dann wird die Szene verwaschen,
auch akustisch. Nur STILL wird es nie werden in den nächsten 24 Stunden,
weil leise werden Enten nicht, wenn man ihrer Technik ein Messer zwischen die
Zähne klemmt. Zu sehen sind: Benzineinspritzungen. Kompressoren. Vierventil-Zylinderköpfe.
Doppelvergaser für jeden Zylinder. Renn-Nockenwellen. Doppelzündungen
(mittels kleiner Rasenmäher-Zündkerzen, die dem Boxer von unten in
die Zylinderköpfe implantiert werden). Drehzahlen bis 10.000 Touren. Nadelgelagerte
Kurbelwellen, wegen der Drehzahlen. Querstabilisatoren und verstärkte Schwingarme,
damit Kurven nicht auch im Auto stattfinden. Wichtig sind auch die innenbelüfteten
Scheibenbremsen vorne, damit die Schotterbetten und Ausbeulhämmer nicht
so viel zu tun kriegen.
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Enten-Armaturenbretter schauen immer improvisiert aus,
und die Schwere des Defektes (hier:sehr) lässt sich an manch Gesicht
ablesen
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Die ersten Stunden
Vor Einbruch der Dunkelheit herrscht praktisch Aufwärmen,
Einprägen des Kurses, weil man in der Nacht nur ein paar Meter-Sequenzen
davon sieht. Auch als Zuschauer musst du dir die Bilder mitnehmen für die
nächsten Stunden, damit die Geräusche einen Rahmen kriegen werden,
später, im Finsteren.
Gefightet wird trotzdem von Anfang an. Die schnellsten Enten hier
fahren an die 200, saugen sich in zarten Drifts durch die Kurven, beschleunigen
zum Herzzerreissen. Am besten stellst du dich in die Bus Stop-Schikane, wo das
Stakkato von bremsen-angasen-bremsen-angasen am dichtesten verpackt ist.
Die ganz Beherzten schwenken auch auf dieser kurzen Geraden zum Überholmanöver
aus, und wenn der andere gerade ein bisserl weniger beherzt ist oder sich beim
Schalten verhaspelt hat, dann geht sich alles aus. Fair gefahren wird trotzdem,
weshalb die meisten Enten mit intakter Karosserie ins Ziel kommen werden.
Wir Fans
Fansein ist wichtig, es bringt dich näher an die Essenz des Rennens und
füllt den Eintrittsspreis mit sozialem Sinn, gewissermassen. Damit uns
keiner nachsagen kann, wir wären irgendwie unparteiisch im Treiben gestanden,
adoptierten wir vom Fleck weg das Team Nummer 68: Erstens, weil André
Lenoir ein wunderberer Fahrer ist, der stundenlang angast, dann aussteigt und
dir alles erzählt, was heute wichtig ist und in den letzten zehn Jahren
wichtig war, weil: so lange ist er mit seinem Team schon dabei. Zweitens, weil
der Chefmechaniker Jacques Kneip das beste Gesicht des Rennens hat, ungefähr
so, wie man sich einen typischen Franzosen vorstellt, nur dass er halt Belgier
ist: Schnurrbart von üppigen Dimensionen, gelichtetes Haupthaar, verschmitzter
Blick, der sich aufs Wesen überträgt. Hauptberuflich ist er Wasserpumpen-Mechaniker,
was jetzt nichts über die Technik der Ente an sich aussagt, aber das wissen
wir ja eh. André ist übrigens Eisenbahner, auch kein schneller Job,
und alle fahren im Alltag konsequent nicht 2CV.
Jedes
Team besteht aus drei bis vier Fahrern Ehefrauen und Freundeskreise werden
zu Mechanikern und Betreuern ernannt. Für einen Boxenstop sind mindestens
vier Leute nötig: zwei tanken oder schrauben, einer hält den Feuerlöscher
im Anschlag, einer kümmert sich um den Fahrer. Das funktioniert beim Team
68 hervorragend, weil sie zum Tanken und Feuerlöscherhalten die Kinder
der Fahrer eingeteilt haben, und wer erstmals in die Erwachsenenwelt blinzeln
darf, nimmt diese Ehre sehr, sehr ernst.
Alle Teams haben 100.000 Franc eingezahlt, rund öS 35.000,,
haben dafür Startnummern und ein paar Liter Benzin gekriegt, die das Training
nicht überlebt haben. Die Chance, das Geld über die Siegerprämie
wieder hereinzuholen, ist gering, weil erst am Saisonende, nach sechs 24-Stunden-Rennen,
rund 100.000 Schilling unter den 20 besten Teams verteilt werden. Früher
bekam der Sieger auch einen Fernseher, aber das hat sich mittlerweile aufgehört.
Zuschauer?
Man sollte an dieser Stelle vielleicht zugeben, daß die 24 Stunden einander
irgendwie gleichen und Zuschauern, die nicht sehr am 2CV hängen, zwischendurch
ein wenig fad werden könnte. Es gibt nahe der Rennstrecke aber keine echte
Gastwirtschaft zum Niedersinken, nur ein paar Imbiß-Stände. Es gibt
vereinzelt Fernseher am Platz, aber da läuft ebenfalls nur das Rennen.
Die Zuschauersituation läßt sich folglich so umreißen: Man
findet immer einen Platz auf der Tribüne und muß sich eher dümmlich
anstellen, um vom Start nix zu sehen. Die Boxenstrasse ist fürs Publikum
offen, weshalb sich bei Reparaturen immer ein Zuschauer findet, der im Weg steht.
Prinz Philip
Was man bestimmt nicht kann, ist Prominenteschauen. Nur einmal
nahm Prinz Philip von Belgien teil, als Sponsor fand sich jener Kekserzeuger,
der die passende Rolle fertigt. Der 2CV war im Prinzenrollen-Design lackiert,
zusätzlich mischte man einige als Prinzen verkleidete Keksverteiler ins
Publikum. Der Einsatz des Gesamtkunstwerkes dauerte, bis der Ölfilter des
2CV (im Gestalt einer Prinzenrolle) leckschlug. Prinz Philip wurde augenblicklich
einem anderen Team implantiert, insgesamt dürfte das Wochenende ohne Auswirkung
auf den königlichen Fuhrpark geblieben sein.
Die Nacht
Heute
wird es nimmer aufhören zu regnen, das steht fest. Die Umrisse der Enten
sind in die Finsternis abgetaucht, die Autos zu Lichtern reduziert, die in die
Gischt des Vordermannes stechen und sich ein kleines Sichtfenster freilegen,
das freilich keine Knautschzone kennt für Unwägbarkeiten. Es ist die
schlimmste Nacht, seit es die 24 Stunden von Spa gibt, und das sind jetzt auch
schon 15 Jahre. So durchgeregnet hat es angeblich noch nie, als Zuschauer ziehst
du dich jetzt ins Auto zurück oder irgendwie in dich selber, wenn du keinen
Unterschlupf dabei hast. Du machst die Augen zu und läßt dich in
die Nuancen des Lärms fallen: Es gibt die Nervösen, die Kernigen,
die Kreischenden, die Sonoren, die Gelassenen, die Mopedartigen, ungefähr
wie das Raumschiff in Monty Phthons Das Leben des Brian. Und
bei den ganz entspannten und also raren Drehzahlen mischt sich noch ein Haucherl
2CV herein.
Irgendwann, deutlich nach Mitternacht, ist der Lärm nicht mehr
auffällig, nicht mehr störend. Er beißt dich nicht mehr ins
Ohr. Er ist einfach da. In diesem Moment bist du geeicht für ein Schlafzimmer
an der Südost-Tangente, gleich am Pannenstreifen, weil ungefähr dort
steht heute dein Zelt.
Wer nicht schlafen geht, ist auf der Strecke. Die Törns werden
jetzt länger, damit die anderen Fahrer, die gerade nicht dran sind, zumindest
ein paar Stunden hintereinander schlafen können, wenn sie können.
Durchkommen
Das wichtigste in der Nacht ist das Überleben. Die Rundenzeiten
werden ein Haucherl gedehnter, und wer beim Tuning nicht die richtige Balance
zwischen Leistung und Standfestigkeit erzielte, hat irgendwann den Scherm auf.
Es gilt die Faustregel: Was einer auf der Strecke schneller ist, verplempert
er beim Schrauben in der Box. Die ideale Höchstgeschwindigkeit liegt ungefähr
bei 150 bis 160km/h, damit bringst du noch ein zuverlässiges Auto zusammen
und tauschst an der Box nur den Fahrer.
Die Dyane des 68er-Teams hat 65 PS, damit rennt sie 170 km/h, und
zwar 24 Stunden lang, ist André am Abend überzeugt.
Am Morgen nimmer. In der Nacht ist ein lächerlicher Stecker
gebrochen, der Abschleppwagen befand sich irgendwie in Nachtruhe bis
das Auto an die Box geschleppt und repariert war, war eine Stunde verrieben.
Der schuldige Stecker baumelt jetzt einer Boxbirne gleich von der Decke des
Teamzeltes, und jeder, der vorbeigeht, drischt anmutig drauf.
Alles, was legal ist
Am frühen Morgen hört es auf zu regnen, der Asphalt
dampft noch ein wenig nach und verwischt die Umrisse der Autos.
Die haben ohnehin nicht mehr allzu viel mit serienmäßigen
Enten gemeinsam, was nicht immer so war: Bis vor zwei Jahren gab es auch eine
Serienklasse, was in der Praxis so ausschaute, daß manche Einkaufskorb
und Kindersitze rausstellten und dann 24 Stunden fuhren.
Sie waren praktisch stehende Hindernisse für die Prototypen-Klasse,
wo alles erlaubt ist, was sich aus einem serienmäßigen Entenmotor
schnitzen läßt: Der Motorblock muß bleiben, Kolben und Zylinder
dürfen auch vom Visa (652 ccm statt 602) verwendet werden, der Rest gehorcht
den Gesetzen von Kreativität und finanziellem Einsatz.
Die Form der Karosserie muß an einen 2CV oder eine Dyane
erinnern. Weil aber bei einem 2CV-Rennen ein Auto auf der Rennstrecke grundsätzlich
an einen 2CV erinnert, wird diese Regel etwas großzügig tiefergelegt,
gechoppt, in Polyester gegossen, stromliniengeheckt, verkürzt und verspoilert.
Das ist ein wenig schade und nicht immer im Sinn der Teilnehmer, nur ist halt
die Entwicklung schon zu weit fortgeschritten in diese Richtung, da kann jetzt
keiner mehr zurück.
Ausfälle
Manche Teammitglieder schauen aus, als hätten sie die Nacht
durchgemacht, was daran liegt, daß sie die Nacht durchgemacht haben.
Ein paar Autos stehen regungslos an der Box, es wird geschraubt,
die realistischen Fahrer sind ausgestiegen, die hoffnungsvollen sitzen noch
drin und starren Löcher ins Armaturenbrett.
Eine Dyane rollt in einer zierlichen Schwade weißen Rauchs an die Box,
es riecht nach verbranntem Öl und überhitztem Metall, die Mechaniker
reissen ein paar angekohlte Futzerln Asbestband vom Auspuff, was zwar nicht
das Problem beseitigt, aber irgendwie beruhigt. Wer sein Auto gerade noch in
Bewegung halten kann, bedient sich folgenden Tricks: Er fährt vorsichtig
eine dreiviertel Runde, parkt dann am Eingang der Zielgerade und wartet, bis
es 16:00 Uhr wird.
Die Zielgerade geht zum Glück bergab.
Es wird zum Glück irgendwann 16:00 Uhr.
Davor wird das Treiben hektischer, aber nicht sehr, schließlich
liegen vier Runden Unterschied zwischen Erstem und Zweitem.
Es gewint Team 34 aus Belgien. Die Sieger haben 352 Runden ins Geläuf
gelegt, fast 2500 km mit einem Schnitt von 102,04 km/h abgespult, was heute
noch gutes Rohmaterial für eine Siegesfeier abgeben wird.
Auch der 26. Platz des 68er-Teams harrt seiner Feier, vorerst aber wird
gegessen. Es gibt Eintopf, weil alle müde sind und beim Essen nicht auch
noch beißen wollen.
Inzwischen hat es wieder zu regnen begonnen.
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