Author: Axel Polanschütz
3 Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg
3.1 Die Automobilwirtschaft Europas bis 1914
Zwischen 1895 und 1908 kam es zu einem ersten Automobilboom.
Vor allem Frankreich konnte hier einige Vorteile nutzen, was dazu führte,
daß Frankreich in Sachen Automobil die weltweit führende Nation war.
Für die anfängliche Vorherrschaft waren vor allem folgende Gründe
verantwortlich: Zwei der ersten Autopioniere - Emile Levassor und Armand Peugeot
verfügten über große metallverarbeitende Betriebe und im Vergleich
zu Benz bzw. Daimler über einen guten Ruf ihrer Produkte, sowie einen großzügigen
finanziellen Background. Weiters verdient das gute Straßennetz Frankreichs
Erwähnung, was zahlreiche Wettbewerbe zwischen Städten ermöglichte
und so der Provinz-Bevölkerung den Motorwagen bekanntmachte.
Ein weiterer Grund für die große Popularität
des Automobils in Frankreich lag darin, daß viele der ersten Autofirmen
und deren Zulieferer in und um das Zentrum Paris angesiedelt waren, Frankreichs
Wirtschaftsmetropole und Zentrum des Journalismus, außerdem war und ist
Paris ein Umschlagplatz für Luxusgüter. 1895 etwa gab es nur 3 Produzenten,
die sich den Weltmarkt teilten: Benz in Deutschland mit 135 Exemplaren und Panhard
& Levassor sowie Peugeot in Frankreich mit 144 Stück.
Eine europaweite Wirtschaftsrezession ließ die Industrie
in Europa um 1907/1908 für kurze Zeit stagnieren und markierte auch einen
Wendepunkt. Bis zum ersten Weltkrieg wuchs die Branche in Großbritannien
und Deutschland schneller als in Frankreich. Auch aus den USA kam eine neue
Herausforderung, wo man den Massenmarkt für Automobile entdeckte und neue
revolutionäre Produktionsmethoden entwickelte, was nichts daran änderte,
daß Frankreich das Zentrum der europäischen Automobilherstellung
bis in die dreißiger Jahre blieb.
Henry Ford bestätigt in seinem Buch Mein Leben und Werk
die Vorreiterrolle der europäischen, insbesonders der fanzösischen
Autohersteller vor dem ersten Weltkrieg. Ford bemerkte, daß ihm 1905 entsprechende
Materialien fehlten, um die für einen Wagen nötige Kraft bei geringstem
Geweicht erzielen zu können.
Er schreibt weiters: 1905 war ich bei einem Rennen in Palm Beach. Es gab
einen Riesenzusammenstoß, und ein französischer Wagen wurde vollständig
zertrümmert. Wir hatten unser Modell K, den großen Sechszylinder,
laufen lassen. Mir schien, der fremde Wagen sei zierlicher und besser gebaut
als alle, die wir kannten. Nach dem Unglück sammelte ich einen Splitter
vom Ventilschaft auf. Er war sehr leicht und sehr hart. (...) daß der
Splitter aus einem in Frankreich fabrizierten, Vanadium enthaltenden Stahl bestünde.
Wir fragten bei jedem Stahlwerk in Amerika an - keines vermochte Vanadiumstahl
herzustellen.
3.2 Die Automobilwirtschaft in den USA bis 1914
In den USA setzte der Automobilbau erst um ca. 1900 ein.
Man erkannte sehr schnell, daß andere als in Europa übliche Produktionsmethoden
nötig waren, um erfolgreich tätig zu sein. So wurden z.B. die Buick
Automobile zwischen 1904 und 1907 bereits im Assembling-Verfahren hergestellt,
bei dem ein großer Anteil der Teile von speziellen Zulieferern bezogen
wurde. Ford setzte auf erschwingliche, einfach zu produzierende Automobile.
Die enorme Nachfrage nach verläßlichen, billigen Autos brachte das
Problem mit sich, wie man sie in großen Stückzahlen herstellen sollte.
1908 kam es zu ersten Zusammenschlüssen wie der General Motors Corporation
(Buick, Olds, Cadillac u.a.), die sich vorerst hauptsächlich mit verschiedenen
Koordinierungstätigkeiten beschäftigte, um wirtschaftliche Vorteile
zu erarbeiten. (GM wurde von William Crapo Durant gebildet. Der Ausgang lag
bei der Firma Chevrolet, die mit Mitteln von Durant finanziert wurde, welcher
zu dieser Zeit bereits den Automobilhersteller Buick besaß. Durch finanzielle
Probleme wurde er jedoch von der Leitung von GM ausgeschlossen. Sein Erfolg
mit Chevrolet brachte ihm aber im Jahr 1915 mit Geldmitteln von Pierre Du Pont
neuerlich die Führung von GM ein.)
Ford brachte zu dieser Zeit sein T-Modell auf den Markt. Diese und ähnliche
Veränderungen der Automobilwirtschaft in Amerika begünstigten das
Ansteigen der US-Produktion innerhalb eines Jahres von 44.000 auf 65.000 Einheiten
im Jahr 1908.
Bis 1907 unterschieden sich die Methoden der amerikanischen Autobauer
kaum von jenen der europäischen. Um 1908 setzte jedoch eine rasante Auseinanderentwicklung
der beiden Kontinente ein.
3.3 Die Fertigungsmethoden dieses Zeitabschnittes
Automobile wurden anfangs sowohl in Europa als auch in
Amerika in Werkstätten erzeugt. Es handelte sich bei den Produkten meist
um Kleinserien, bei denen meistens an 5 bis 50 Stück gleichzeitig gearbeitet
wurde. Motoren und Antriebssysteme wurden großteils zugekauft, hingegen
Fahrgestelle und Karosserieaufbauten sowie sonstige Arbeiten, wie Sattlerarbeiten,
wurden selbst durchgeführt. Zu einem großen Prozentsatz waren gelernte
Facharbeiter tätig, die von ungelernten Kräften unterstützt wurden.
Noch 1910 konnten etwa dreiviertel aller Tätigkeiten in den
amerikanischen Autofabriken als gelernt eingestuft werden, was dem Anteil in
Europa entsprach.
Jene Hersteller, die in größeren Serien fertigten,
waren schon immer daran interessiert, Verfahren zu entwickeln, die der Vereinfachung
und Beschleunigung des Produktionsprozesses dienten.
So wurden bereits kurz nach 1900 die ersten kaltgepreßten Blechteile
eingesetzt, oder Spezialmaschinen wie Fräsen, Drehbänke usw. angeschafft,
um den Arbeitsablauf zu vereinfachen bzw. um Arbeitskräfte einzusparen.
Die Autofabriken bestanden aus mehreren oft mehrstöckigen
Gebäuden. Die Maschinen waren meist ohne Rücksicht auf die Verwendung
im Produktionsprozeß angeordnet. Es gab noch keinen sachlogischen Aufbau,
wie er mit Einführung der Fließbandarbeit üblich wurde. Man
erkannte, daß einstöckige, eher langgezogene Fabrikskomplexe für
eine Großserienfertigung besser geeignet waren als die alten herkömmlichen
Gebäude. Da man in Europa hauptsächlich alte, umgebaute Fabrikshallen
nutzte, konnte sich dieses Gedankengut nicht so schnell durchsetzen wie in den
USA, wo man hauptsächlich neue Fabriken verwendete. Aber auch dort setzte
sich das Konzept der einstöckigen Werkshalle vor 1914 nicht durch.
3.4 Die Anfänge von André Citroën in der
metallverarbeitenden Industrie
Laut Wolgensingers
reiste André Citroën am 14. April 1900 nach Warschau, um dort seine
Schwester zu besuchen. Er begleitete dort seinen Schwager auf einer Geschäftsreise
und entdeckte bei dieser Gelegenheit in einem kleinen Industriebetrieb die Herstellung
von winkelverzahnten Zahnrädern.
Vermutlich mit finanzieller Unterstützung der Familie, sein polnischer
Schwager Bronislav Goldfeder war Bankier, konnte Citroën das Patent für
die Herstellung solcher Zahnräder erwerben.
Der Vorteil dieser Art von Zahnrad lag darin, daß
sie im Vergleich zu einer linear verlaufenden Verzahnung besser angreift und
die Kraft zentrisch wirken läßt. Diese Verzahung war dadurch in der
Lage große Lasten zu bewältigen und da die Zahnräder ununterbrochen
in Eingriff miteinander standen, verringerten sie das Aufeinanderstoßen
der Zähne, was zu einem weicheren und leiseren Lauf führte.
Nach der Absolvierung des Militärdienstes in Le Mans
begann Citroën damit, das erworbene Patent zu nutzen. Einem Interview von
Mme Hinstin, welches Sylvie Schweitzer 1978 durchführte, stellten die Gebrüder
Paul und Jacques Hinstin in der Nähe von Corbeil und in der rue du Faubourg
Saint-Denis Lokomotivteile her. Jacques Hinstin welcher ein Schulfreund der
Brüder Citroën war, stellte André Citroën ein. In diesem
metallverarbeitenden Betrieb konnte Citroën somit seine ersten Erfahrungen
auf diesem Gebiet machen.
Im Jahr 1905 gründete André Citroën mit
den Brüdern Hinstin und André Boas die Fa. Hinstin Frères,
Citroën & Cie. Ein kleiner Betrieb, der Zahnräder im Winkelschnitt
für Textilmaschinen herstellte. Das nötige Kapital besorgte der Bankier
Paul Haarbleicher.
In anderen Quellen (Schweitzer,
Wolgensinger)
wird diese Firma als Société des Engrenages Citroën,
Hinstin & Cie genannt. Die französischen Autoren dürften
hierbei wohl etwas genauere Quellen zur Verfügung gehabt haben. Hier vermischen
sich die Angaben in den verschiedenen Werken. Jedoch erscheint es mir nur logisch,
daß sich aus dem Angestelltenverhältnis im Jahr 1905 eine Beteiligung
am Unternehmen ergab, vor allem dank des Patentes, welches André Citroën
erwerben konnte, aber auch des Kapitals der Familie Citroën wegen.
Durch anhaltende Erfolge wurde die Produktion ausgeweitet und man erzeugte
verschiedenste Arten von Zahrädern, Getrieben und ähnlichen Produkten.
Die Kontakte reichten sogar bis ins Ausland, zum Beispiel in die österreichisch-ungarische
Monarchie, wo Skoda in Mlada Boleslav (Anm. des Autors) diese Zahnräder
in Lizenz erzeugte.
Die Fabrik war zuerst in der rue Saint Denis und übersiedelte
um 1913 ins 15. Arrondissement an den Quai de Grenelle in die Nähe der
Mors Automobilwerke.
Im Jahr 1913 wurde die Firma zur Société
Anonyme des Engrenages Citroën umstrukturiert. Beteiligt war wiederum
ein Mitglied der Familie Hinstin, Jacques Hinstin. Von da an arbeitete das Unternehmen
weiter erfolgreich an verschiedenen Produkten, die mit den Zahnrädern in
enger Verbindung standen. Auch zahlreiche Patente wurden in dieser Zeit angemeldet,
so für Drehzahlmindergetriebe in den Jahren 1910 und 1913, sowie für
verbesserte Steuerruderantriebe für Schiffe und U-Boote (1912 und 1914).
3.5 Die Zeit bei den Mors-Automobilwerken
Paul Haarbleicher, Bankier und gebürtiger Deutscher,
dessen Tochter mit Hugues Citroën verheiratet war, war mit der Situation
des Automobilfabrikanten Mors bestens vertraut. Seine Bank war Hausbank der
Société d`Electricité et d`Automobiles Mors,
und zudem war er auch noch Vorsitzender des Aufsichtsrates.
Mors wurde ursprünglich 1871 zur Nutzung eines Patentes der nördlichen
Eisenbahngesellschaft, der Produktion von elektrischen Signalanlagen, gegründet.
Um 1880 und 1890 begann man mit der Automobilherstellung, worauf man sich erst
ab etwa 1900 spezialisierte. Diese beiden Aktivitäten wurden 1907 in zwei
seperate Gesellschaften unterteilt.
Mors hatte einst künstliche Blumen hergestellt,
dann Elektroteile, 1896 wurde eine Automobilabteilung eingerichtet. (...) Die
Firma Mors erlangte im Kielwasser von Panhard & Levassor einen guten Ruf
durch ihre leistungsstarken Rennwagen und verkaufte ihre limitierte Produktion
zu gehobenen Preisen.,
heißt es in einer anderen Quelle.
Mors` großvolumige Luxuswagen wurden durch sportliche
Erfolge u.a. 1900 beim Rennen Bordeaux - Périgueux - Bordeaux oder beim
2. Gordon - Bennett - Preis, aber auch beim von mehreren Unglücken überschatteten
Rennen Paris - Madrid 1903, bei dem u. a. auch Marcel Renault ums Leben kam,
in der Fachwelt bekannt. Mit den Rennerfolgen stieg auch die Zahl der verkauften
Wagen. Als jedoch die Siege ausblieben und die Preise der Mors-Wagen nach wie
vor hoch waren, gingen die Produktionszahlen drastisch zurück, bis sich
auch einige hervorragende Ingenieure zur Konkurrenz absetzten.
Die Gebrüder Mors wollten ihren Wohlstand sichern
und das Unternehmen liquidieren. Haarbleicher aber bat seinen Bekannten André
Citroën, einen Plan zur Rettung von Mors zu entwickeln. Im Dezember 1907
wurde ein erstes Dossier vorgelegt, jedoch von der Aktionärsversammlung
abgelehnt. Im Februar 1908 startete man einen weiteren Versuch, welcher angenommen
wurde. André Citroën wurde zum Generaldirektor ernannt und mit der
Aufgabe betraut, Mors erfolgreich umzustrukturieren. Haarbleicher wurde zum
Präsidenten gewählt. Citroën konzentrierte sich auf drei Bereiche:
Mitarbeiter, Produktionsanlagen und Technik.
Er stellte Louis Guillot ein, den er bei den Flugzeugbauern
Morane kennenlernte und Georges Marie Haardt, welcher ihm von Henri Fournier
(Sieger des Rennens Paris - Berlin 1902) vorgestellt wurde. Haardt war damals
in Fournier`s Garage als Verkäufer angestellt. Weiters Felix Schwab (war
ab 1919 in den Citroën-Werken tätig)
und Paul Vavon (Vavon war Unternehmer und ab 1916 bei Citroën tätig)
.
1912 gelang es André Citroën bei den Banken
eine Umschuldung mit Hilfe von Atanik Eknayan zu erreichen, einem reichen Diamantenhändler
armenischer Abstammung, einem Freund von Hugues Citroën und Haarbleicher,
der ein Drittel der Verbindlichkeiten übernahm.
Haardt ging ins Ausland, um dort Filialen zu gründen.
Werbekampagnen wurden gestartet und Prospekte von professionellen Zeichnern
gestaltet.
Ein neues stabileres Chassis wurde entwickelt und alle
Versionen mit ventillosen Knight Motoren ausgerüstet. Dieser Motortyp kam
aus den Minerva-Werken, in denen sein Cousin David Citroën tätig war.
Diese Modelle gingen als Mors SSS in die Geschichte ein.
(Sans soupape sport). Die Produktionszahlen stiegen unter der Mitarbeit von
André Citroën von 120 Wagen bis auf 1.200 Stück im Jahr 1914.
Diese Zahlen zeigen die erfolgte Wende bei Mors, vergleicht
man sie jedoch mit dem Wachstum der gesamten europäischen, oder auch nur
der französischen Autoindustrie, so erkennt man, daß Mors mit rund
1.200 Stück relativ unbedeutend war. Mit neuen Produktionsmethoden hoffte
man jedoch noch viel erfolgreicher zu werden. Doch die politische Lage in Europa
beendete diese Weiterentwicklung der zivilen Autoproduktion.
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