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Abt.: bremsen und zögern
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Alles, was mir zu meiner Entschuldigung noch einfällt, sind dreieinhalb Seiten.
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Lange, bevor das Gaspedal meiner Ente erstmals Bodenblech berührt hatte, war der Schutzgummi des Bremspedals verschlissen. Durch sorgfältigen Einsatz des Bremsfußes konnten verkehrstechnische Unsicherheiten stets ausgebremst werden, nicht jedoch leichte Komplikationen beim Konvoifahren: Durch langsame Gangart (man munkelte sogar: durch Schleichen) fiel ich lange vor meiner Nase auf. Und sogar das Haupthaar war damals regional noch nicht licht genug für einen jener subtilen Beinamen, der in Gruppen gerne um
den Hals gehängt wird.
Irgendwann, knapp nach dem Erwerb des rosa Scheines, war ich also der Gasfußgelähmte. Vielen Dank an alle, die
mir das taktvoll nie ins Gesicht sagten (und auch nicht anderswohin).
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Meine Geschwindigkeiten waren zweistellig, meine Drehzahlen ließen Verwandtschaft zum Ruhepuls erkennen, meine Tankrechnungen blieben schmal wie eine 30er-Zone, die Kolonnen hinter mir lang wie Kometenschweife, aber beileibe nicht so flink und verschwommen. Mit der Chuzpe des aufrechten Hinterwäldlers verachtete ich Geschwindigkeiten jenseits der hundert Stundenkilometer, mit der Stirn des freudig Zurückgebliebenen strafte ich dreistellige Leistungsangaben mit einer Inbrunst, die bisher nur dreistellige
Gerichte in Speisekarten traf. Im Straßenverkehr war meine Ente hinten und vorne ungeliebt, bis sich allmählich herumsprach, daß das eigentliche Problem in der Mitte saß: am Fahrersitz. Diese Rolle wollte gepflegt sein. Es war schließlich nicht einzusehen,
warum ein Auto von gestern mit der Hektik von heute der Geschwindigkeit einer rasenden Gesellschaft in den, sagen wir, Bürzel kriechen sollte. Ich begann, meine Ideologie zu auszubauen. Mit der Freude des früh Umnachteten erschloß ich den Pannenstreifen
als Ausweiche, wenn die Raser im Rückspiegel besonders aufdringlich formatfüllend wurden - als Panne im Verkehrsfluß würde ich locker durchgehen, und niemand widersprach. Ich klaubte eine 16PS-Ente auf, um endlich eine Ausrede von mehr als einer halben
Tonne Gewichtigkeit flockig in Diskussionen einsickern zu lassen. Ich kam drauf, daß man in Langsamkeit herrlich wohnen kann. Die Langsamkeit ist groß und weit und dünn besiedelt, und sie ist mittlerweile kostbar wie ein Bauernhof in entlegenen Gegenden mit
klaren, frischen Gebirgsforellen und saftigen, grünen Almkühen. Sie ist nicht mit Geld zu bezahlen, sondern nur mit der letzten Gratiswährung unter Querdenkern: der Verbeugung vor einem Zeitpolster, auf dem sich bald niemand mehr ausruhen mag. Die langsame
Welt ist um einen Quadratmeterpreis wohlfeil, den sich fast nur mehr Träumer und Narren leisten wollen. Und sie verleiht der Umgebung die Breite eines Cinemascope-Films, die Detailtreue einer Hergè-Zeichnung und die Überschaubarkeit eines beamteten
Kontostandes.
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Geschwindigkeit dagegen ist ein Haus mit zugigen Fenstern, das auf einer tektonisch wabbelnden Scholle steht. Die Setzungsrisse fahren wie Blitze ums Ohr, der Blick hat keine Zeit, ein bisserl über den Straßenrand hinauszuschauen und vergißt auf alles, was
rundherum wächst und steht. In Geschwindigkeit zu wohnen, ist anstrengend: Man darf nie vergessen, das Gas abzudrehen. Die Welt der Geschwindigkeit ist ein kahler Tunnel ohne Zentralheizung. Wer jemals auf einer Rolltreppe talwärts gerannt ist, weiß, was
ich meine. Wer immer zwei Stufen gleichzeitig überrennt, kennt den Kaninchenblick, der beengt.
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Die wenigen Ausrißversuche schlugen fehl: Ich stürzte mich mit dem Mountainbike von waghalsig schroffem Gebirge (Laaer Berg, Wienerberg, an besonders mutigen Tagen sogar vom Anninger). Die unmittelbare Nähe zum Fahrtwind, dachte ich, läßt mich trikotnah in
Geschwindigkeit eintauchen. Die Angst sollte langsam abklingen wie bei einer Verhaltenstherapie. Es funktionierte nicht. Bei sechzig winselte ich, bei siebzig weinte ich wie ein Schloßhund, bei achtzig schrie ich den Urschrei des Vorstadtköters, dem der
Hundefänger das Netz überwirft, auch wenn mir nachher alle versicherten, ich sei bestenfalls mit 40 km/h geradelt. Meine Mountainbike-Runde indes verzeih mir. Noch heute nimmt sie mich mit, weil ich als einziger eine Winerwald-Karte besitze sowie Packtaschen,
in denen sich abgebrochene Sättel oder abgefallene Pullover hervorragend verstauen lassen. Der einzig echte Fall von hoher Geschwindigkeit zog ohne Lehrwert vorbei. Er bestach vielmehr durch Leerwert, vor allem, was mein damals beamtet schmales
Geldbörsel betraf: Acht hunderter Deppensteuer wegen Schnellfahrens in der Stadt, 71 gestoppte Stundenkilometer mit der 16PS-Ente. Der Effekt war, wie leider festgestellt werden muß, nicht vorhanden: Ich wähnte mich in einer 70er-Zone. Für die Anonymverfügung fand
sich später ein würdiges Örtchen.
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Mit diesem platonischen Verhältnis zur Geschwindigkeit fiel ich gewissermaßen aus der Reihe. Schon mein Großvater kam, obwohl unmotorisiert, ohne Übernachtung von Alland nach Wien, weil er das Waffenrad mit den trainierten Wadeln des Holzfällers trat, und
ihn Amors Flammenpfeil zur Eile trieb. Mein Vater wechselte schnell die Autos, weil ein etwas repräsentativeres Modell stets am Markt aufblitzte, nachdem die Abzahlung des alten eingeleitet war. Geschwindigkeit kann eben, wie der Mönch Gregor Mendel
anhand anderer, weit lebenswichtiger Eigenschaften wie der Farbe von Tulpen nachwies, Generationen überspringen.
So, dachte ich, fahre ich bis ans
Ende meiner Tage, wenn's das Leben gut sein läßt. Es ließ aber nicht.
Die Autozeitung, an deren Portal ich
gescharrt hatte wie Fred Feuerstein an seiner eigenen Eingangstür, holte mich in die Redaktion. Schon bald saß ich in Autos, deren Motoren so
viel Leistung auf die Kurbelwelle schlenzten wie mein ganzer Fuhrpark nicht in seinen besten Tagen. Ich stieg mit dem
linken Fuß unter das Gaspedal und mit dem rechten darauf. Ich lernte kreuzweises Bremsen oder beidbeiniges, duellierte mich beim Beschleunigen mit betrunkenen Fiakern oder rachitischen Postlermopeds. Ich verhinderte Beschlagnahme des Heftes wegen
geschwindigkeitsüberschreitender Tests, fuhr nie über 70 mit dem Porsche Carrera und 30 auf einem Feldweg mit dem Carrera Turbo, bevor ich die Autos an flinkere Kollegen weiterreichte.
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Je länger du in modernen Autos sitzt, umso wichtiger wird das private Verhätscheln eines menschlichen Oldtimers. Das Bewegen heutiger Autos ist ein Teil der Arbeit. Entenfahren aber ist wie Heimkommen, ein altes Autoradio knistert als Kaminfeuer, und die
Technik erzählt ungefragt wie Pensionisten vom langen Leben. Zum Schnellerwerden aber ist es zu spät. Weiterhin bin ich für andere Autofahrer abwechselnd ein rotes Tuch oder ein schwarzes Schaf, ein Volltrottel oder auch ein Halbidiot, leider keine
Täuschung, sondern eine Ent-. Entschuldigung.
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