Narizin: Das Leben Danach
Das Leben Danach
Begrabt unsere Hoffnungen im Hinterhof eines Citroënhändlers.
Vor etwas mehr als 3 Jahren war's, da warfen windschlüpfrige Manager ihre digitalisierten Augen streng auf ein herzerfrischendes unbekümmertes Fließband, an dem Menschen den 2CV zusammenschraubten. Bei dieser Gelegenheit machten sie die folgenschwere
Entdeckung, daß Schweißroboter, ganz im Gegensatz zu Arbeitern, keinen Urlaub verlangen, keine Rauchpausen einlegen und während der Arbeit auch nicht pinkeln gehen würden.
Darüber hinaus waren schon längst kritische Stimmen über die Abgase von Benzinmotoren laut - und aus dem
Auspuff des 2CV kam völlig verblüffenderweise das, was eben herauskommt wenn 5,5 bis 7 Liter Benzin auf 100
Kilometer ohne Katalysator verbrannt werden.
Und da die Welt wieder einmal dabei war, sich ziemlich ernst zu nehmen und die Heiterkeit wieder ein Stückchen
wegzudrängen, ereilte uns ein Moment, der viel zu oft angekündigt worden war, um jemals noch einzutreffen. Am
27. Juli 1990 rollte die letzte Ente vom ganz und gar nicht mehr unbekümmerten Fließband.
Wir notierten das Ende einer Unschuld, die sich unerschütterlich Heiterkeit zu Schulden kommen ließ.
Jeder von uns reagiert angemessen, ich sprang beispielsweise aus dem Fenster,
eine eher symbolische Handlung, da ich mich gerade im Erdgeschoß befand,
als die Nachricht aus dem Radio krächzte. Sie fand Erwähnung im
Kulturteil des Mittagsjournals, ein sicherer Hinweis darauf, daß
wesentlich mehr als eine Autolegende auf dem Schrottplatz gelandet war,
nämlich die gesamte Idee, die dahinter gestanden war. Mit dem 2CV
verschwand eine Kategorie von bunten Autos, die unserer grauen, ernsthaften Welt
gut anstünden, die Ente hinterließ ein Loch, in dem wir auch die
Hoffnung auf einen würdigen Nachfolger begraben werden, sollte nicht bald
ein Auto das Licht der rauhen Welt erblicken, das ähnlich revolutionär
und individuell ist wie seinerzeit der 2CV, ein für seine Zeit
ökonomisches, schadstoffarmes und billiges Auto, das lächelt und ein
Rolldach hat, groß wie der Himmel.
Doch das Problem wurzelt tiefer, der Grund für die Erscheinungsform
heutiger Kleinwagen ist die sogenannte Gesellschaft mit ihrem
widernatürlichen Wertsystem: Längst zählen unmöglich zu
quantifizierende Werte wie Glück, Zufriedenheit und Lebensfreude nicht
mehr, längst ist Geld als faßbarer Maßstab für nicht
meßbare Werte akzeptiert, ein Wertesystem, vor dem auch schon Konrad Lorenz
und Erich Fromm gewarnt haben. Heute gilt das Auto als einziges Statussymbol
neben der Kleidung, das man jedermann unter die Nase reiben kann,
außerdem ist Geldverdienen eine ernsthafte Sache, bei der man nicht aus
der Masse herausstechen, geschweige denn irgendwelche Heiterkeit demonstrieren
darf.
So haben wir mausgraue Kleinwagen, die genauso erwachsen aussehen möchten,
wie ihre krawattengewürgten und gut frisierten jugendlichen Besitzer und
dabei ziemlich alt aussehen, und auf deren Blech Greenpeace-Pickerl und etwaige
Kratzer gleichermaßen lächerlich aussehen, anstatt stolz zur Schau
getragen zu werden wie seinerzeit am 2CV.
Viel zu lange sind Autohersteller beim Bau von kleinen Autos den großen
hinterhergehechelt. Anstatt dem einfachen, bunten Leben vier Räder und
kein Dach zu spendieren. haben sie den Kleinwagengedanken mit elektrischen
Fensterhebern erwürgt und mit Zentralverriegelungen gegeißelt.
Allein an PS- Zahlen moderner Kleinwagen erkennt man, daß es längst
nicht mehr darum
geht, billig von A nach B zu kommen, ein höchst fragwürdiges, weil
hektisches Ansinnen.
Ein paar Vorstöße in die
richtige
Richtung sind durchaus zu vermelden, wir denken beispielsweise an den neuen
Renault Twingo, über den wir uns allerdings noch mehr freuen könnten,
hätte er nicht diesen leicht verstaubten Benzinmotor. Vielleicht gibt es
auch heute Autos, die lächeln, so wie der rundliche Mazda 121. Aber das
hat mit dem unverfälschten, ehrlichen Lachen der Ente wenig zu tun, es
erinnert eher an dieses glatte und unverbindliche Höflickeitslächeln,
das dem echten Wiener sowieso suspekt ist, das aber einige asiatische
Völker sehr gut zustande bringen, wenn sie Touristen in die falsche
Richtung schicken. Und was sie sich denken, wenn wir uns umdrehen, weiß
niemand.
So bleibt uns 2CV-Fans einstweilen nichts anderes übrig,
als unser Stofftier, das nur zufällig aus Blech ist, ehrfürchtig zu
pflegen und ihm nach finanzieller und gesetzlicher Möglichkeit jenen
geregelten Nachrüstkat zu spendieren, der ironischerweise nach
Produktionsende des 2CV serienreif wurde, auf daß die Ente aus dem Auspuff
weniger stinke als der Amtsschimmel aus dem Mund.
Darüber hinaus
verweisen sich undisziplinierte Gedanken über das gültige Bezugssystem
als tröstlich: Vielleicht war es nicht die Ente, die nicht mehr in unsere
Welt paßte. Wahrscheinlich paßte diese Welt nicht mehr zur Ente.
Aber gehen mußte der Schwächere.
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